DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 2 - Der Tod vergibt nicht -


- V -


Die Nachricht vom Tod Jarl Siddgeir ereilte Windhelm wie ein alleszerstörendes Lauffeuer. Der Abend brach an, als ein Reiter die Tore der Hauptstadt der Nord verließ. Er trieb sein Pferd erbarmungslos an, im Gepäck eine Botschaft für Legat Rikke. Die Order war klar und unmissverständlich. Dieses geheime Pergament von Galmar Stein-Faust musste unbedingt in die Hände der rechten Hand des Generals gelangen, komme da was wolle. Sein bester Kurier war fest entschlossen, dass die Botschaft auch diese Person erreichen sollte. Währenddessen begannen in den Städten der Nord unheimliche und schreckliche Vorkommnisse. Die Agenten der Thalmor wurden aktiv, der Tod bekam einen Festschmaus.


- VI -


Himmelsrand schien schon zu schlafen, selbst die Vögel hatten ihr lustiges Gezwitscher beendet. Ab und an waren Eulen zu hören, die jetzt aktiv wurden. Die drei Männer ritten am Fluss entlang, nach Windhelm war es nicht mehr weit. Man erreichte gerade die Schneegrenze, als die Pferde aufgeschreckt wurden; markerschütternde Schreie zerissen die Stille. Sie kamen vom anderen Flußufer herüber. Ohne lange zu überlegen rissen sie ihre Pferde herum und schauten in die Richtung, woher die Schreie kamen. Man konnte schemenhaft den Schatten einer kleinen Fischerhütte erkennen, die sich an einen riesigen Felsen schmiegte. Der Kerzenschein war in der sternklaren Nacht gut zu erkennen, aber auch die unheimlichen Schattenspiele, die sich in der Hütte abzeichneten. Engar trieb sein Pferd an, er war schon im Wasser, als die anderen zwei ihm folgten. Sie hatten Glück, die seichte Furt erleichterte ihnen die Überquerung des kalten Stroms. An der Hütte angelangt, sprangen sie fast gleichzeitig ab und zogen ihre Waffen. Noch bevor sie den Eingang erreichten, schoss ein riesiger Bär heraus. Aus dem Angriff wurde aber nur ein festgefrorener Sprung, als die riesige Axt des Kommandanten den Kopf vom Körper des Bären trennte. Schwer fiel der Körper des Tiers auf den Boden, der abgeschlagene Kopf rollte in den Fluß. Während sich der alte Krieger um das getötete Tier kümmerte, gingen Cidius und Faendal in die Hütte.

Sie kamen zu spät. Die Fischerin wurde, während sie wohl geschlafen hatte, von dem Bären überrascht, danach bestialisch zugerichtet und getötet. Die Frau hatte keine Chance. Den drei Reisenden blieb nur noch die Bestattung übrig, unweit des Flusses unter einer weichen Stelle nahe des Felsen fand sie ihre letzte Ruhe. Vielleicht wäre es auch ihr Wunsch gewesen, wenn sie nicht unter diesen Umständen gestorben wäre, hier begraben zu werden. Die drei Männer hoben ihr das Grab aus, das Bärenfell, welches Engar dem Kadaver abgezogen hatte, war ihr Totenkleid. Zumindest wurde sie damit abgedeckt, bevor die Erde die Verstorbene in ihre Arme nahm.

Es war schon fast Mitternacht, als sie dann unweit der Hütte ihr Lager aufschlugen. Schon zu spät, als jetzt noch weiter gen Windhelm zu reisen. Cidius hatte sich seinen Pelzumhang angelegt und saß am Lagerfeuer. Ihm war kalt.

Der Temperaturunterschied war deutlich zu spüren. In Bruchteil einer Sekunde war die sommerliche Nachtwärme, von der Kälte des ewigen Schnees eingeholt worden. Das war Himmelsrand wie es leibte und lebte. Nicht nur das Klima war einzigartig, sondern das ganze Land. Schön, mystisch und traumhaft. Aber auch rau, unheimlich und tödlich, was der Tod der Fischerin wieder einmal bewies. Faendal befand sich schon im Reich der Träume, nur sein Freund fand einfach keinen Schlaf. Das bemerkte der Sturmmantel, als er kurz aufwachte und nach draußen sah. Als Cidius ein großes Holzscheit nachdenklich ins Feuer warf, kam Engar mit freiem Oberkörper aus dem provisorischen Zelt, welches sie aufgebaut hatten. Cidius blickte leicht erschrocken zu ihm auf und bekam dabei eine Schüttelfrostattacke.


„Dir macht wohl diese Kälte nichts aus, oder? Verständlich, wenn man hier zu Hause ist.“

Der Kaiserliche starrte wieder in das Feuer und kuschelte sich fester in den Umhang.

„Wer schon solange in Himmelsrand lebt wie ich, dem kann dieses Klima nichts mehr anhaben. Aber seit ich zurückdenken kann, liebe ich den Schnee. Dieses schöne Weiß ist mein Teppich und auch meine Realität. Sagenhafte Schönheit, verräterische Spuren, Blut und Gefahr wird hier unmissverständlich offenbart. Nur eine Schneewehe kann es teilweise verstecken. Aber durch das kleinste klare Eiskristall kann man es trotzdem sehen.“

Während der alte Mann dies aussprach, setzte er sich zu Cidius.

„Da steckt sehr viel Weisheit und Lebenserfahrung drin, Engar.“

Der junge Mann schaute den älteren an, während dieser ihn ebenso musterte.

„Wie die Natur und das Schicksal in diesem Land zuschlagen können, war deutlich am Tod der Fischerin zu sehen. Keiner von uns kannte sie. Sie lebte hier allein tagein, tagaus. Hatte Frieden mit dem Fluss geschlossen, und der Strom dankte es ihr mit seinem Hab und Gut, damit sie leben konnte. Sie kannte sicherlich die Gefahren, aber trotzdem… so zu sterben ist schon grausam und erbarmungslos. Das hat mich sehr berührt, möge ihre Seele den Frieden finden, den sie verdient.“

Damit versank Cidius wieder in Trauer und Nachdenklichkeit. Engar sagte kein Wort, er schaute Cidius nur an. Er war vollkommen verblüfft und beeindruckt davon, wie der Gegenübersitzende über das Leben und den Tod sprach. Immer mehr schloss der alte Mann den jüngeren in sein Herz.


- VII -


Währenddessen in der Thalmorbotschaft


Die Nachricht vom Tod Jarl Siddgeirs hatte Einsamkeit ebenfalls erreicht und sorgte für merkliche Unruhe und Angst. Dieser Zustand legte sich wie ein schwarzes Tuch über die Stadt. Seit dieser schrecklichen Botschaft wurde der Blaue Palast zu einer uneinnehmbaren Festung, die allgemeine Sorge galt der Jarl Elisif.

Hecarilar war innerlich aufgewühlt, er wartete ungeduldig auf seinen Vetter Umbacalm. Einerseits war er hocherfreut, dass die Dunkle Bruderschaft so eine vorzügliche Arbeit leistete, andererseits war er sichtlich besorgt, dass man einen Jarl als Zielscheibe gewählt hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dass das zu hohe Wellen schlagen würde. Dass man jetzt mehr denn je Nachforschungen betreiben würde, wer dahintersteckte. Das missfiel ihm sehr. Er hoffte nur, dass seine Agenten soviel Wirbel machten und Verwirrung stifteten, sodass dieser Mordakt in den Hintergrund gedrängt wurde.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Umbacalm das Geheimkabinett betrat. Dieser sah sofort, dass der Erzmagier wieder einmal nicht die allerbeste Laune hatte. Hecarilar kam sofort mürrisch zum Punkt, warum er seinen Vetter zu sich rufen ließ.

„Warum gerade Jarl Siddgeir? Hätte man nicht jemand anderes dazu nehmen können? Das wirbelt zu viel Staub auf, was wir uns zur Zeit nicht leisten können! Schon mal daran gedacht?“

Er setzte sich hin und auch Umbacalm tat das Gleiche, nachdem er die Erlaubnis dazu bekam.

„Wen denn, hm? Siddgeir war der Einzige, dessen Tod auch die entsprechende Wirkung bringen würde. Sein Hofstaat hat nicht diese Aufmerksamkeit wie die Vogte von Einsamkeit oder Weißlauf zum Beispiel! Auch war er sehr wankelmütig. War drauf und dran, sich der Sache der Sturmmäntel anzuschließen. Das konnte ich nicht zulassen, also musste er beseitigt werden. Denke, das war in deinem Interesse, oder nicht? Also beruhige Dich endlich!“

Umbacalm gingen die ewigen Bedenken und Zurechtweisungen von Hecarilar sichtlich auf die Nerven.

„Und was ist mit Savos Aren, dem Erzmagier von Winterfeste? Hattest du schon Verbindung mit unserem Gerücht aufgenommen? Ich hoffe doch!“

Seinem Vetter war anzusehen, wie ihn diese Fragen in Rage brachten.

Umbacalm antwortete mit vorgetäuschter Ruhe: „Die Botschaft ist angekommen, nur habe ich noch keine positive Antwort bezüglich eines weiteren Treffens. Also müssen wir uns gedulden. Die melden sich schon!“

„Gerade Geduld ist das, was ich zur Zeit bestimmt nicht habe oder brauche! Wir müssen endlich die Verschwörung zum Kochen bringen, ohne dass Verdacht auf uns fällt! Und das wird schon schwer genug bei deiner gespielten Gelassenheit!“

„Dann triff dich doch selbst mit der Bruderschaft, wenn es dir zu langsam geht!“

Umbacalm sprang wütend auf und verließ grußlos das Kabinett. Hecarilar schaute lange auf die Tür, welche seine rechte Hand gerade laut hörbar zugeworfen hatte. Der alte Herr war im Wechselbad der Verwirrung, des Erstaunens und der Wut. So hatte er seinen Vetter noch nie erlebt und noch nie hatte Umbacalm ihn so angefahren.


- VIII -


„Was ist damals bei der Aufklärung des Mordes am Kaiser schiefgelaufen? Ich hatte nie verstanden, warum die Kaiserlichen uns dafür verantwortlich machten, obwohl doch offensichtliche Indizien unsere Beteiligung widerlegten.“

Engar brach nach einer Stunde das Schweigen, er wollte mehr von und über Cidius erfahren.

„Woher weißt du davon, dass ich daran gescheitert bin?“

Cidius warf ein weiteres großes Stück Holz ins Feuer.

„Ich hatte ein ausführliches Gespräch mit deinem Partner, als du betrunken unterm Tisch lagst und vor dich hinschlummertest!“

Engar musste lächeln, als er an den letzten Abend dachte.

„Erinnere mich bloß nicht daran. Einerseits ist in mir eine absolute Leere, was das betrifft und die Kopfschmerzen sind noch nicht ganz verklungen. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich ins Bett kam! Aber andererseits war es seit langem ein Besäufnis ohne Prügelei!“

Cidius schüttelte sich leicht und schwor sich, die nächsten Tage keinen Branntwein mehr zu trinken.

„ Davon habe ich schon gehört, dass eure Tavernenbesuche meist ein schlagkräftiges Ende haben. Wie auch immer, Faendal und ich trugen dich ins Bett. Und ja, das passiert, wenn man sich übermäßig betrinkt. Dieses edle Gesöff ist hervorragend, aber es verursacht auch schlimme Nachwirkungen, wenn man es unterschätzt. Kann davon ein Liedchen singen!“

Beide lachten einander an, bevor Engar fortfuhr: „Mir hat dein Freund einiges über dich und eure Partnerschaft erzählt. Auch davon, dass du an eine Verschwörung der Thalmor glaubst. Faendal ist sich da gar nicht mal so sicher, obwohl er dir sehr vertraut. Ich dagegen sehe die Dinge ähnlich, ich glaube dir. Es sind diesbezüglich allerdings nur Vermutungen meinerseits, aber ich traue den Thalmor alles zu. Auch, dass sie zu einer Verschwörung fähig sind. Nur würden sie das nie alleine machen. Die sind da noch mit jemandem im Bunde, der ihre Schmutzarbeit verrichtet. Also woran sind eure Ermittlungen gescheitert?“

Engar bohrte weiter.


„Wie Du schon sagtest, Indizien. Da wir einfach keine handfeste Beweise hatten, sondern nur Indizien, sind wir genau daran gescheitert. Der letzte Beweis starb in meinen Armen, als er einen Becher Met getrunken hatte. Der Mann, der mich zum Versteck seines schriftlichen Beweises bringen wollte, wurde schlichtweg vergiftet. Wer es getan hatte, wurde bis jetzt nie aufgeklärt. Aber es war ein Thalmor in der Taverne von Einsamkeit, und danach war er weg. Er war der Einzige, der sich verdächtig verhielt, das hätte selbst ein Blinder bemerkt. Ich wollte ihm hinterher, war allerdings sinnlos. Ich sah nur noch, wie er in der Menschenmenge des vollen Marktes verschwand.

Legat Rikke, Faendal und ich haben kurz danach die Thalmorbotschaft von unten nach oben auf den Kopf gestellt, weil wir vermuteten, dass er sich darin verstecken würde. Jede noch so dunkle Ecke wurde durchleuchtet, aber wir haben nichts gefunden. Kein einziger Beweis dafür, dass die Thalmor am Mord des Kaisers beteiligt waren. Mein Vater machte mich danach regelrecht fertig, weil ich mich getraut hatte, ihre langjährigen Partner unter Verdacht zu haben. Seitdem wusste ich, dass das noch nicht zu Ende war, dass es wieder passieren würde. Ich habe das Gesicht des alten Erzmagiers gesehen, als ihn bei der Friedenskonferenz auf Hoch Horthgar mein Vater dazu bewegte, die Versammlung zu verlassen. Bevor der Botschafter der Thalmor den Versammlungsraum verließ, konnte ich soviel Wut und Hass erkennen, dass eine Rache dafür nicht ausgeschlossen ist. Dass es da noch zu einem Nachspiel kommen würde. Seitdem war mir bewusst, dass man euch Nord zu Unrecht beschuldigte. Und ich fühle, diese Rache ist nun in vollem Gange!“


Mit fester Stimme, als ob er seine Vermutungen bekräftigen wollte, beendete Cidius seine Betrachtungsweise der damaligen Ereignisse. Engar hatte der Erzählung aufmerksam zugehört, nun nickte er zustimmend, als ob auch ihm diese Gedanken gekommen wären.

„Wenn das wahr sein sollte, dann ist dieser Bürgerkrieg nur eine banale Nebensächlichkeit. Es sind wohl Mächte im Spiel, die ganz Himmelsrand erschüttern lassen könnten, wenn diese Kräfte erfolgreich sein sollten. Das müssen wir unbedingt verhindern!“

Wieder waren an Engar die hügelhaften Stirnfalten zu sehen.

„Genau das sind auch meine Gedanken…“

Der alte Krieger und Cidius schauten einander besorgt an.