DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 2 - Der Tod vergibt nicht -


- IX -


Windhelm


Arivanja konnte nicht schlafen. Auch wenn es schon weit nach Mitternacht war, machte die junge Frau einen Spaziergang entlang des kleinen Hafens der Hauptstadt der Nord. Sie liebte die Nächte, die Sterne und den riesigen Mond. Er stand genau über der Spitze des kleinen Berges, welcher sich vor der Stadt befand. Wenn sich diese Himmelskörper im Wasser spiegelten, war es für sie immer einer der schönsten und besonderen Momente. Aber etwas stimmte in dieser Nacht nicht, sie fühlte sich beobachtet und verfolgt. Arivanja schaute ängstlich um sich, es war aber nichts zu sehen. Windhelm schien tief und fest zu schlafen, nur die leichte Brandung des breiten Flussdeltas war zu hören, welche an den Kai schwappte. Das Gefühl wurde stärker. Der Entschluss zur sofortigen Heimkehr schien ihr eine gute und sichere Idee zu sein, sie verließ den Hafen und stieg zum Seiteneingang der Stadtmauer hinauf.

Plötzlich sah sie einen dunklen Schatten, dann war er schnell wieder weg. Sie hatte sich nicht geirrt, jemand verfolgte sie. Sie rannte los, wollte schreien, doch die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Als sie die Hauptstraße erreichte, rutschte sie aus. Der festgetretene Schnee hatte sich in eine gefährlich glatte Oberfläche verwandelt. Der unvermeidliche Sturz war schmerzhaft, kleine, spitze und festgefrorene Kiesel bohrten sich in Knie und Hände. Die Wunden fingen auch sofort an zu bluten, aber ihre Angst war größer als der Schmerz. Sie rappelte sich auf, rannte weiter in Richtung des kleinen alten Friedhofs, welcher zwischen dem Markt und der Hauptstraße lag. Wie aus dem Nichts kommend, versperrte ein Schatten ihren Fluchtweg. Sie prallte voll gegen den in einen langen schwarzen Mantel gekleideten Mann. Sein Gesicht wurde mit einer tiefen Kapuze verdeckt. Auch wenn sie es gesehen hätte, würde sie nie sagen können, wer der Verfolger war. Ein schriller Schrei gellte durch die Windhelmer Nacht.

Eine alarmierte Wache rannte in die Richtung, woher der Schrei kam. Der Mann schaute aufmerksam um sich. Zuerst sah er die Blutspuren auf der Hauptstraße. Er verfolgte diese Spur bis zu den alten Steingräbern. Seine Augen wurden größer, als er die dunklen Streifen und Flecke im Schnee des Friedhofs sah. Das kam ihn sehr bekannt vor. Langsam und mit gezogenem Schwert näherte er sich der unheimlichen Stelle, seine Fackel beleuchtete nun die Umgebung. Dann sah er die junge tote Frau. Sie lag mit durchschnittener Kehle auf einem hohen Steingrab. Das frische Blut, welches noch aus der langen Wunde floß, zeigte ihm, dass diese Greueltat vor kurzem geschehen sein musste. Er biss sich auf die Lippe.

„Nicht schon wieder! Das kann doch nur ein Alptraum sein!“ murmelte die Wache.


- X -


„Cidius! Was mich aber interessiert, ist deine Geschichte. Wie kommt einer wie du zu diesem Beruf. Ich dachte immer, Kaiserliche würden für die Armee geboren. Und bei deiner Herkunft hätte ich mich schon gewundert, wenn es nicht so geschehen wäre.“

Engar sah den jungen Mann gespannt an.

„Als Mutter bei meiner Geburt starb, war nur noch mein Vater für mich da. Er schickte mich auf die besten Schulen, Akademien und zu den talentiertesten Waffenausbildern. Er hegte stets die Hoffnung, dass ich irgendwann seine Stellung übernehmen würde. Seit ich lebe, hatte er hohe Positionen in der Kaiserlichen Armee. Nur das war das große Problem. Ich fühlte immer, dass er mich sehr gern hat und mich immer noch liebt. Dass ich ihn an seine verstorbene Frau erinnere. Ich habe die selben Augen wie sie. Nur er konnte und kann immer noch nicht Beruf vom Privatem trennen. So wie er mit seinen Untergebenen sprach und umging, so tat er es auch zu Hause. Das hat sich auch bis heute nicht geändert. Ich wollte eben nicht so werden wie mein Vater. Ich fing an, sein Soldatendasein zu hassen. Ich weigerte mich zunehmend, in die Armee einzutreten. Bis es dann eines Tages eskalierte. Mir gingen irgendwann die ewigen Diskussionen deswegen auf die Nerven. An jenem Tag - wieder nach einem heftigen Streit - packte ich meine sieben Sachen und verließ Einsamkeit. Ich wollte einfach nur noch weg. Weg von meinem Vater, weg von der Heimat, weg von der Armee. Wollte sogar weg von Himmelsrand. Ich wollte über Falkenring dieses Land verlassen. Ich hätte auch den Seeweg nehmen können, aber da wäre es sicherlich für meinen Vater leichter gewesen, mich zurückzuholen. Meistens waren es zu dieser Zeit schwere Kriegsschiffe, die unentwegt Kriegsmaterial und Soldaten nach Himmelsrand brachten. Und diese Kapitäne kannten meinen Vater sehr gut. Normale Schiffe fuhren kaum zu dieser Zeit in die weite Welt. Und auf Piratenschiffen anzuheuern kam für mich nicht in Frage. Also in Falkenring angekommen geriet ich in eine Sache, die mein Leben verändern sollte. Ein kleines Kind wurde von einem Werwolf getötet. Man suchte Jäger und erfahrene Kämpfer, die sich trauten, diese Bestie zur Strecke zu bringen. Mir ging das Schicksal der jungen Familie sehr zu Herzen und ich schwor, den Mord zu sühnen. Ich verfolgte diese Bestie tagein tagaus durch die Umgebung dieser Region. Bis ich dann auf Faendal traf...“

Cidius wurde von dem alten Kommandanten lächelnd unterbrochen.

„Und ab diesem Moment wurdet ihr die besten Freunde. Das hat mir dein Bosmer schon erzählt.“

Cidius staunte nicht schlecht. Engar hatte wohl eine besondere Art, Informationen über Menschen und Ereignisse einzuholen. Denn normalerweise redete Faendal kaum darüber, vorallem nicht mit Fremden.

„Aber warum gerade Jagd auf Verbrecher, Mörder, Diebe und was es sonst noch für Abschaum gibt? Das ist für einen jungen Mann wie dich sehr außergewöhnlich. Gut, abgesehen von der Herkunft, wo man es erwarten könnte....“ jetzt unterbrach ihn Cidius....

„Mit dem grausamen Mord an diesem kleinen Mädchen geschah ein Wandel in mir. Statt meine Heimat zu verlassen habe ich meine Berufung gefunden. Ich wollte den Menschen helfen, die schutz- und wehrlos sind und denen unsägliches Leid geschehen war. Ein anderer Grund war auch die Tatsache, dass ein Krieg vor der Tür stand. Dieses Gefühl hatte ich schon die ganze Zeit, unabhängig davon, dass ich mitbekam, wie mein Vater die Armee aufrüstete. Wie sollten sich die einfachen Menschen davor und dagegen schützen? Dieses Land gehört den Nord, nicht dem Kaiser, nicht meinen Vater oder sonst jemandem! Schon genug, dass Banditen und wilde Bestien dieses Land unsicher machen; dass diese verfluchten Thalmor erbarmungslose Menschenjagden veranstalten... Jeder hat das Recht auf Freiheit, Leben nach eigenem Willen, und das Recht auf Schutz gegen Ungerechtigkeit, Hilflosigkeit und Misshandlung. Seit diesem Tag wollte ich etwas bewirken. Faendal wurde dabei zu einer großen und unentbehrlichen Hilfe, die ich sehr schätze. Er ist wie ein großer Bruder für mich, den ich nie hatte.“

Cidius blickte unbewusst zu seinem schlafenden Freund.

„Dieses Land gehört den Nord, nicht dem Kaiser, nicht meinen Vater oder sonst jemandem!“

Engar konnte es nicht fassen, solche Worte aus dem Mund eines Mannes aus dem Kaiservolk zu hören.


- XI -


Markarth


Er hatte die ganze Nacht kostenlos getrunken. Das war ihm noch nie passiert, aber er nahm dieses göttliche Geschenk gerne an. Eine dunkel verhüllte Person hatte ihn regelrecht abgefüllt und dauernd auf ihn eingeredet. Das Reden des Fremdlings war ihm egal, aber der Alkohol war willkommen. Nur wusste er nicht, das der fremde Wohltuer damit einen bestimmten Zweck beabsichtigte und die Gehirnwäsche mit Sicherheit seine Wirkung nicht verfehlen würde. Unbemerkt gab der gutgekleidete Mann ab und an dem Trinker etwas in seinen Becher. Das ging stundenlang so, bis der Wirt die noch Anwesenden bat, endlich nach Hause zu gehen. Vollkommen betrunken verließ der Mann in den frühen Morgenstunden das „Silber-Blut“. Aber sein Verhalten war trotzdem eigenartig und passte einfach nicht zu einem Volltrunkenen. Andere würden versuchen, nach Hause zu torkeln, vor allem nach der Menge Alkohol wäre ein normaler Mensch nicht mehr imstande, so vernünftig zu gehen. Aber er ging, trotz seines Zustandes, mit sicherem Schritt zum Markt am Eingang der uralten Stadt. Dabei murmelte er stets ein- und denselben Satz.

„Reach gehört den Abgeschworenen! ... Reach gehört den Abgeschworenen!“

Dieser Satz wurde mit jedem schnellen Schritt lauter und lauter.


Margret war schon früh auf den Beinen. Sie bereitete ihren Stand fein säuberlich vor. Die Obstlieferung müsste jeden Augenblick kommen und sie war bekannt für frisches Obst und Gemüse. Man kaufte bei ihr deswegen sehr gern ein.

Sie sah den Mann nicht kommen, der urplötzlich ein Messer in der Hand hielt und sich von hinten auf sie stürzte. Dabei schrie er zum letzten Mal seinen Dauersatz heraus. Sie wollte sich noch umdrehen, um zu sehen, wer solch ein Aufsehen verursachte. Doch da spürte die Frau schon den stechenden Schmerz, der in ihre Wirbelsäule fuhr. Mit einem Aufschrei griff sie sich auf den Rücken. Ihre Beine wurden plötzlich weich und sterbend fiel sie auf das Pflaster. Die zwei Torwachen kamen zu spät, es ging einfach zu schnell, um die Frau noch retten zu können. Sie rissen den Mann hoch, der immer wieder und wieder auf die Frau einstach. Ob das Hochreißen ihn zur Vernunft brachte, vermochte keiner zu sagen, jedoch wand er sich nun mit klarem Verstand in dem festen Griff der Soldaten und schaute verwirrt beide abwechselnd an. Er wußte nicht mehr, wo er war oder was er hier wollte. Plötzlich ließen die beiden Wachen den Mann los und schüttelten ungläubig die Hände, als ob sie sich verbrannt hätten. Vollkommen verwirrt und mit ungläubigem Gesichtausdruck verfolgten die zwei Wächter die kommenden Ereignisse.


Der Mörder wusste nun gar nicht mehr, was das alles zu bedeuten hatte und warum ihn die Wachen plötzlich losließen. Doch dann spürte er die Hitze in sich hochkommen. Er schaute auf seine Hände und Arme, als die Haut anfing von innen heraus zu glühen. Er fing an zu schreien, war unfähig sich zu bewegen. Kochendes Blut kam aus den Augen, der Nase und den Ohren, welches schnell abkühlend als schwarze Streifen sein Gesicht zu einer unheimlichen Maske verunstalteten. Doch die Schreie waren nur von kurzer Dauer, in einen Feuerball aufgehend explodierte der Mann. Der Geruch von verbranntem Menschenfleisch und umherfliegenden blutigen Fetzen des Verbrannten drehte einem Soldaten den Magen um, worauf dessen Inhalt den Weg ins Freie fand.

Die dunkle Gestalt hatte dieses Szenario von einer höhergelegenen Position beobachtet. Das kaum noch zu sehende rote Leuchten in seinen Händen ließ nach. Zufrieden ob seiner Ausführung der Order zog er seine Kapuze tiefer ins Gesicht und verließ den Ort des Schreckens.


- XII -


Die Vorboten des Morgens machten sich auf, Himmelsrand für den neuen Tag vorzubereiten. Cidius holte eine kleine Flasche Dwemeröl und ein paar saubere Putztücher aus der Satteltasche, während Engar begann, „Bärensteak auf Spieß“ zuzubereiten. Als Cidius sich wieder hinsetzte und seine kleine Armbrust vom Gürtel löste, beobachtete der alte Mann sein Tun.

„Zeigst du mir diese seltsame Waffe?“

Engar hat ja schon viele Waffen gesehen, aber so eine kleine Armbrust noch nie. Cidius reichte sie ihm hinüber.

„Ein Geschenk aus Dämmerwacht. Ein Armbrustmeister namens Durak schenkte sie mir als Dank, als ich ihn damals aus einer Gruppe Vampire gerettet hatte. Dieser Ork, ein begnadeter Vampirjäger und Armbrustschütze, ließ sie für mich anfertigen. Jurine hatte sie hergestellt, eine wahre Künstlerin des Ambosses und Bearbeitung des Metalls. Sie sieht zwar klein aus, aus kurzer Distanz ist sie aber doch tödlich. Nicht geeignet für extreme Weiten, im Gegensatz zu einem Langbogen. Sie ist praktisch und liegt gut in der Hand, benötigt aber trotzdem Einiges an Übung. Nicht jeder kann sich an das einhändige Schießen gewöhnen. Aber ich habe den Dreh schon recht gut raus.“

Während der junge Mann die Herkunft der Waffe erklärte, schaute sich Engar diese genauer an. Beeindruckt gab er sie wieder zurück.

„Ein wahrhaft kleines Meisterstück. Aber ich vertraue doch lieber meiner Zweihandaxt oder einem gutem Langschwert. Da weiß ich, was ich in meiner Hand halte. Bei der da hätte ich Angst, sie zu zerbrechen!“

Dabei schaute er auf seine großen Hände.

„Da hast du vielleicht recht! Damit möchte ich keine geschaufelt bekommen. Da würde sich mein Kopf paarmal um die eigene Achse drehen!“

Lachend fing Cidius an, seine Waffe auseinanderzunehmen. Danach putzte er Teil für Teil und setzte sie wieder fachmännisch zusammen. In der Zeit dachte Engar über das nach, was sein Gegenüber über Himmelsrand gesagt hatte.

„Ich habe lange über deinen Satz „Dieses Land gehört den Nord, nicht dem Kaiser, nicht meinen Vater oder sonst jemandem!“ nachgedacht. Ich bin schon sehr überrascht, so etwas von einem Mann mit kaiserlicher Herkunft zu hören. Nicht jeder denkt so wie du.“

Engar blickte zu ihm hinüber, worauf Cidius seine Putzarbeiten unterbrach und den Sturmmantel ebenfalls anschaute.

„Das ist für mich eigentlich normal. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich liebe dieses Land. Ich meine, es sind so viele Völker in Himmelsrand vertreten, deren Vorfahren herzogen, aus welchen Gründen auch immer. Man war und ist Gast in diesem Land, und so sollte man sich auch verhalten. Keiner hat das Recht, weder Kaiserliche, noch Thalmor oder sonst wer, dieses Land für sich zu beanspruchen, was rechtmäßig schon dem Urvolk, den Nord gehört. Wer das nicht respektiert, hat in diesem Land nichts zu suchen. Wenn man sich dazu entschließt hier zu leben, dann nur in gemeinschaftlicher Akzeptanz und nicht gegeneinander. Ja, ich bin der Sohn eines kaiserlichen Generals, das heißt aber noch lange nicht, dass ich das Tun des Kaisers gutheißen muss.“

Cidius machte da weiter, wo er beim Putzen aufgehört hatte.

„Wenn jeder so denken würde, hätten wir diesen Bürgerkrieg nicht.“

Engar drehte die Steak-Spieße um. Daraufhin erfüllte köstlicher Duft das Lager, welcher Faendal endlich zum Aufwachen bewegte.