DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 2 - Der Tod vergibt nicht -


- XVII -


Der Argonier hatte den ganzen Abend bis weit in den Morgen im „Zwinkernden Skeever“ verbracht. Gulum-Ei gab sich zu sehr dem Honigmet hin. Nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, wurde ihm schlagartig bewusst, dasa er etwas ausgeplaudert hatte, was er lieber für sich behalten hätte. Nun wusste womöglich ganz Einsamkeit von dem, was er in der besagten einen Nacht gesehen hatte. Ihm war nun klar, das er verschwinden musste, bevor man ihm wegen seines ausgeplauderten Geheimnisses den Garaus machte. Er versuchte sich zu erinnern, wer alles noch in der letzten Nacht anwesend war. Das Einzige was ihm noch einfiel war, dass er meist an der Theke saß und sich mit dem Wirt unterhalten hatte. Der Rest war weg. Er ging hinaus auf den Gang und rief nach dem Besitzer dieses Gasthauses. Corpulus Vinius war in der Nähe und kam aus dem Nachbarzimmer heraus.

„Ich weiß zwar nicht, was ich am vergangenen Abend alles ausgeplaudert habe, aber ich bitte Euch ernsthaft, es für Euch zu behalten und niemandem davon zu erzählen. Und diese Bitte ist wirklich nur gut gemeint.“

Gulum - sichtlich nervös - führte den etwas verwirrt dreinschauenden Wirt in sein Zimmer und schloß die Tür.

„Da könnt Ihr beruhigt sein, weil ich das meiste eh kaum noch verstanden hatte. Ihr Argonier habt die schlechte Angewohnheit, wenn ihr zu viel Alkohol intus habt, mehr zu zischen als Euch verständlich zu unterhalten. Aber sei es wie es sei, ich werde das, was ich vielleicht glaube gehört zu haben, niemandem erzählen. Für einen Obulus selbstverständlich!“

Corpulus sah in dieser Unterhaltung die Chance für einen kleinen Nebenverdienst, auch wenn er kaum etwas verstanden hatte. ‚Geheimes Treffen’, ‚ein Thalmor’ und das ‚Dabeisein eines Schattens’ waren die einzigen Worte, die sich in seinem Gehirn festgesaugt hatten. Der Rest des Gesagten konnte er in keinen Zusammenhang bringen, zu unverständlich war das meiste Gerede des betrunkenem Argoniers gewesen.

„Jaja! Ihr bekommt das Doppelte von dem, was ich Euch noch schulde!“

Der Argonier ging zum Nachttisch, holte einen kleinen Beutel Septime heraus und warf ihn dem Wirt zu.

„Jetzt holt mir ein paar Blätter Schreibpapier, Feder und Tinte. Ich hoffe auf Eure Diskretion. Keiner darf davon etwas erfahren, sonst sind wir Beide des Todes!“

Kurze Zeit später kam Corpulus Vinius mit dem Gewünschten zurück und ließ Gulum-Ei allein, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Der Argonier setzte sich an den Tisch und schrieb einen Brief an seinen Freund Talen-Jei, der in Rifton lebte. Er schrieb ihm das, was er in dieser Nacht erlebte.


Viele Grüsse Talen-Jei!


Wenn mir etwas zustoßen sollte, dann gib diesen Brief jemandem, der damit etwas anfangen kann. Ich werde mich in der geheimen Höhle des Lagerhauses der Ost-Kaiserlichen Handelsgesellschaft verstecken, solange, bis Gras darüber gewachsen ist. Bitte versuche nicht, mit mir in Verbindung zu treten. Du würdest dich dann auch noch in Gefahr bringen.


Mit besten Grüßen Gulum-Ei


Nachdem er diesen Brief geschrieben und versiegelt hatte, packte er schnell seine Sachen zusammen und verließ umgehend die Taverne. Er blickte ängstlich um sich und ging schnell zum Haupttor von Einsamkeit. Als der Argonier das Tor durchschritten hatte, traten drei Thalmor aus dem Schatten. Zwei folgten dem Mann unauffällig und mit gelassener Ruhe, der dritte Thalmor ging in die Taverne. Der Argonier übergab ungesehen den Brief dem Kutscher, da die Kutsche ohnedies an Rifton vorbei kam, konnte dieser Brief problemlos und unauffällig überbracht werden. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Gulum-Ei sich sich einmal umgedreht hätte, aber er war nur darauf erpicht, schnell in sein Versteck zu gelangen. Die zwei Verfolger hatten die Übergabe des Briefes nicht bemerkt, als die Kutsche an ihnen vorbeifuhr.


- XVIII -


Großmeister Estale schaute sich um. In der Taverne war nur der Besitzer, der rege hinter dem Tresen aufräumte und die Bardin des „Zwinkernden Skeevers“ anwesend. Langsam ging der Hochelf zum Tresen und räusperte sich lautstark.

„Wer zur Hölle stört mich bei meiner Arbeit? ... Oh, werter Herr, Entschuldigung! Ich...“, stammelte Corpulus Vinius. Er wusste zu gut, dass die Thalmor eines Tages zu ihm kommen würden, aber dass es so schnell passierte, erstaunte selbst ihn. Mit einer kleinen Handbewegung würgte Estale die entschuldigende Stammelei des Wirtes ab.

„Nichts für ungut, aber genau mit Euch wollte ich sprechen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr Euch gestern Abend äußerst rege mit einem Argonier unterhalten habt. Mich würde sehr interessieren, was genau das Schuppengesicht von sich gab.“

„Ach nichts Besonderes, Ihr kennt das doch sicherlich. Wenn man zuviel trinkt, wird manch Einem schon mal das Mundwerk ziemlich locker. So auch bei ihm. Aber der Argonier hatte wohl schon zu tief in den Becher geschaut, meist kam nur zischendes, kaum zu verstehendes Kauderwelsch über seine Lippen, sodass ich wahrlich wenig verstanden habe, was er sagte.“

Corpulus wischte etwas nervös den Tresen ab. Nicht gut, seine Erklärung hatte den fahlen Beigeschmack einer Ausrede.

„Nun kommt schon, Corpulus! Ich sehe Euch doch an, dass Ihr mehr wisst, als Euch lieb ist. Ihr kennt mich, ich kann sehr ungehalten werden, wenn man versucht mich anzulügen! Ihr wollt doch sicher Euren Besitz noch lange behalten, oder?“

Die Auges von Estale wurden enger, im Schein der Kerzen leuchteten sie gefährlich und waren Warnung genug. Woher der Wirt den Mut für die folgenden Worte hernahm, wusste jedoch niemand.

„Ich weiß gar nichts! Was immer hier gesprochen wurde, geht Euch außerdem wahrlich nichts an! Wenn ich bitten darf, verlasst mein Lokal. Ihr bedeutet nur Ärger!“

Mit entschlossener Handbewegung zeigte Corpulus Estale die Richtung des Ausganges. Noch bevor der Großmeister weiter einschüchternd auf den Wirt einreden konnte, spürte dieser plötzlich die scharfe Klinge eines Dolches an seinem Hals. Er hatte nicht mitbekommen, wie die Bardin plötzlich hinter ihm auftauchte, sie hatte ihre Laute gegen die Waffe ausgetauscht.

„Ihr habt doch gehört, was der Wirt sagte, Ihr solltet gehen. Oder soll ich nachhelfen?“, zischte Lisette die Worte aggressiv leise in seine spitzen Ohren.

„Das werdet Ihr noch bereuen! Ihr wisst doch gar nicht, mit wem Ihr Euch da anlegt! Aber ich bin ein Gegner der Gewalt und beuge mich Eurem Willen; hier ist das letzte Wort jedoch noch nicht gesprochen!“

Der Sarkasmus in seiner Abschiedsrede lag noch schwer im Raum, als Estale schon längst den Skeever verlassen hatte.


„Lisette, das hättest Du nicht tun sollen! Ich glaube, nun sind wir beide dem Tod geweiht...“

Corpulus schüttelte traurig den Kopf.

„Noch leben wir, und ich habe vor, noch lange in deiner Taverne zu spielen. Die Thalmor glauben wohl, alles machen zu dürfen, nur weil sie die Stiefel des Kaisers lecken. Aber nicht mit mir!“


- XIX -


Legat Rikke verharrte vor der Halle der Toten von Einsamkeit. Vor einer halben Stunde hatte die rechte Hand von General Tullius die Nachricht von einer Wache bekommen. Ein persönlicher Kurier von Galmar Stein-Faust würde auf sie in diesen ehrwürdigen Hallen warten. Ein nicht gerade angenehmer Ort für ein geheimes Treffen. Aber was ist schon in dieser Zeit normal, dachte sich die Frau. Vor allem nach den letzten Ereignissen. Das Verhältnis beider Kriegsparteien war mehr als nur angespannt.

'Aber was will der erste Feldherr von mir? Was hat die Anwesenheit eines Sturmmantels hier im Herzen des Löwen zu bedeuten? Ist man schon so verzweifelt, dass man dieses Risiko eingeht?'

Während die Offizierin sich diesen Gedanken hingab, riss sie die Tür auf. Als die Kriegsherrin so laut und barsch in die Hallen eintrat, ließ der Priester Styrr vor Schreck einen Totenkopf fallen, der in tausend Teile auf dem Boden zerbarst. Auch der Kurier sprang von der Bank auf, auf der er saß und wartete. Eine Handbewegung war zu erkennen, der Krieger griff nach seinem Dolch. Aber als der Sturmmantel-Kurier sah, dass Legat Rikke allein kam, beruhigte er sich wieder. Ohne weiteres Aufsehen und wortlos überreichte der Bote das Pergament und die Legatin begann das Schreiben zu lesen.


Werte Legat Rikke!


Ich, Galmar Stein-Faust, bitte um ein geheimes Treffen in zwei Tagen zur Abenddämmerung. Der Ort des Treffens sollen die gespaltenen Zwillingstürme sein.

Ich hoffe auf Euer Erscheinen, ALLEIN!

Auch ich werde allein sein. Ohne Begleitung, ohne Schutz.

Ich möchte damit meine Aufrichtigkeit bekunden.

Handle aus eigenem Antrieb und reinem Gewissen.

Es geht um die Zukunft Himmelsrands!


Galmar Stein-Faust


Als sie diese Nachricht gelesen hatte, schüttelte die Frau leicht den Kopf. Ungläubig schaute sie zu dem Kurier der Nord. Zuerst dachte sie an einen Hinterhalt, an eine Falle. Aber so dumm würde der Feldherr nicht sein, dass er sich selbst ans Messer liefern würde. Sie spürte die Aufrichtigkeit in den Worten des Schreibens und überlegte lange angespannte Momente.

„Richtet Galmar Stein-Faust aus, dass ich einverstanden bin. Ich werde zu dem Treffen erscheinen. Ich hoffe aber auch, dass er es wahrlich ernst meint!“

Legat Rikke drehte sich um und verließ schnell die Halle der Toten.

„Dessen könnt Ihr Euch gewiss sein!“

Auch der Kurier verließ die ehrwürdigen Hallen durch einen nur ihm bekannten Geheimgang. Der erste Schritt war getan.


- XX -


Die Ankunft des Gefangenen war kaum zu überhören. Schwere Ketten rasselten über den glatten Steinboden des Thronsaals. Der Zustand des ehemaligen Ersten Verzaubereres war bemitleidenswert, drei Jahre im Kerker hatten deutliche Spuren hinterlassen. Doch Cidius sah in den Augen des Mannes ein immer noch gefährliches Leuchten, welche durch seine langen ergrauten Haare hervorstachen. Man brachte ihn bis knapp vor den Thron, seine Bewacher entfernten sich, als sie Ulfric mit einer Handbewegung dazu aufforderte. In gebührender Entfernung blieben beide Sturmmäntel jedoch stehen.

„Diese Herren hier wollen wissen, woher Ihr das Gift hattet, mit dem Ihr Eure Untaten begangen habt. Sprecht die Wahrheit und ich bin geneigt, Euer Leiden zu beenden.“

Der König der Nord kam sofort auf den Punkt. Er sprach langsam und eindringlich und ließ Cidius keine Chance, selbst das Verhör zu führen. Wozu auch, genau diese Frage wollte der junge Mann auch stellen.

„Gift? Mein Herr, wie oft soll ich das noch sagen, ich bin Verzauberer und kein Alchemist. Ich weiß doch gar nicht, wovon Ihr eigentlich sprecht! Ich habe Euch jahrelang treu gedient und kann mir immer noch nicht vorstellen, dass Ihr nach wie vor denkt, dass ich der Schuldige bin. Macht doch mit mir, was Ihr wollt, ganz Himmelsrand hat schon längst das Urteil über mich gefällt. Doch ich werde nichts, aber auch gar nichts zugeben, was ich nicht getan habe!“

Die letzten Worte des Verzauberers waren wie ein Schrei der Entschlossenheit, aber auch Resignation. Ulfric überlegte kurz die nächste Frage, aber es fiel ihm keine ein. Man konnte sehen und fühlen, wie es in ihm brodelte, doch die nächsten Fragen sollten sich von selbst beantworten, als ein Mann in den Thronsaal stürmte.

"Lasst mich durch, ihr ungehobelten Vollidioten!"

Die Wachen wollten sich den Eindringling schnappen, als Ulfric einschritt.


„Lasst ihn durch, ich will sehen wer es wagt, hier unaufgefordert einzutreten!“

Man ließ den Mann los, Feandal sah sofort, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte. Mit irrem Grinsen und leicht verdrehten Augen kam dieser Mann langsam dem Thron näher. Auch Cidius musste seinem Freund rechtgeben, da stimmte etwas ganz und gar nicht.

„Da schuftet man sich jahrelang ab, beschreitet Wege, die ihr Narren und Vollidioten nie erklimmen werdet. Geht ein Bündnis mit den Deadras ein, um deren Gunst zu erlangen. Und dann kommt so ein Trottel daher und meint, meinem Werk nachzueifern. Das ist doch nicht zu fassen!“

Er schaut alle Anwesenden mit verstörten Blicken an.

„Mann, beruhigt Euch! Wer seid Ihr überhaupt und wovon sprecht Ihr eigentlich?“ Galmar Stein-Faust war sichtlich nervös, am liebsten würde er den Irren achtkantig aus dem Palast werfen lassen.

„Ich kenne ihn, das ist Calixto Corrium, ehemaliger Diener meines Vaters. Aber so habe ich ihn noch nie erlebt!“

Engar Baalgruuf schüttelte den Kopf.

„Also, Calixto Corrium, sprecht! Was soll das Ganze hier und jetzt?“

Ulfric Sturmmantel wurde langsam unbeherrscht.

„Keiner von euch ist meinem Werk auf die Schliche gekommen, bis auf Einen. Euer Vater kam mir ziemlich nahe, daher musste ich mich seiner entledigen. Boethiah befahl es mir. Der Deadrafürst schenkte mir sogar seine besonderen Waffen! Von seinen Anhängern erhielt ich noch die wunderschöne grüne Substanz, damit ich die Waffen des Deadra darin eintauchen kann. Dein Vater bekam diese Kost zum Abendmahl. Ich konnte sehen, wie das wunderschöne Grün in seine weit aufgerissenen Augen stieg, als er in seinem Sessel zusammensackte!“

Mit einem irren Grinsen schaute Calixto zu Engar, worauf Cidius Engar beruhigen mußte. Er hielt den Arm des Recken fest, dessen Hand sich um die Streitaxt schloß, bis seine Knöchel weiß hervortraten.


„Also seid Ihr der Verursacher der ganzen Mordserie hier in Windhelm, wollt Ihr das damit sagen!?“

Immer noch klang Ulfrics Stimme ruhig, aber auch er hatte Mühe, seine Beherrschung zu behalten.

„Ich habe die ganzen Jahre mein Werk mit äußerster Vorsicht, tagelanger Vorbeitung und absoluter Perfektion durchgeführt, sodass keiner etwas merkte...“

Wieder war ein irres Lachen zu hören.

„...Ihr habt sogar einen falschen Verdächtigen in den Kerker geworfen, was mir sehr gefiel! Es fehlte also nur noch ein Opfer, welches ich auserkoren hatte. Arivanja war perfekt. Sie sollte das Ritual vervollständigen, bis...“

Er fuhr mit den Händen durch seine Haare und war drauf und dran, diese auszureißen.

„...dann einer kam und sie vor mir tötete. Das ist eine Blasphemie sondergleichen! Wie soll ich das dem Deadrafürsten erklären? Dieser Mistkerl hat mein Werk zerstört, meine grüne Unsterblichkeit genommen, nach der ich mich so gesehnt habe. Ich habe die Chance verwirkt, das Portal am Schrein von Boethiah durchschreiten zu dürfen, um von meinem Herrn und Meister in seine erlesene Schar aufgenommen zu werden! Ich will, dass Ihr diesen Mistkerl vierteilt, ...“

„GENUG!“

Ulfric Sturmmantel sprang von seinem Thron auf, er schaute kurz zu Engar. Dieser verstand den Blick und warf geschickt seine Streitaxt seinem Anführer zu. Der König der Nord fing die schwere Waffe gekonnt auf.

„Ich werde dem Mistkerl seine gerechte Strafe zukommen lassen, das schwöre ich Euch!“

Calixto sah Ulfric mit großen Augen an. Mit einem irrem Lächeln, mit gelassener Ruhe eines verwirrten und fehlgeleiteten Geistes empfing er die tödliche Gnade von Ulfric Sturmmantel. Die schwere Streitaxt spaltete den Schädel des Mörders, als ob ein Messer durch einen Apfel glitt. Der leblose Körper fiel auf den kalten Marmor des Thronsaales und Ulfric warf die Axt wieder seinem Besitzer zu. Engar fing sie ebenso geschickt wieder auf.

„Befreit meinen Ersten Verzauberer von seinen Ketten und bringt ihn zu einem Medikus! Ich möchte, dass all seine Wünsche erfüllt werden. Verzeiht mir...“

Mit schweren Schritten und gesenktem Haupt durch eine selbst auferlegte Schuld verließ Ulfric Sturmmantel den Thronsaal. Immer noch standen die Anwesenden auf ihrem Platz und starrten auf den leblosen Körper von Calixto Corrium.

...

Denn der Tod vergibt nicht. Weil das Leben in den Zeiten des Krieges und des Blutvergießens auch niemandem vergab, der sein Dasein missbrauchte, um anderer Leben zu missachten. Dafür gab es nur ein Gesetz der Vergeltung: den Tod!