DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 2 - Der Tod vergibt nicht -


- XIII -


Rifton


Maven Schwarzdorn verließ den „Bienenstich“. Ihr amouröses Abenteuer mit Mercer war ihr noch anzusehen, sie bemerkte es noch rechtzeitig, und schloss ihr Kleid bis zum letzten Knopf der Halskrause und ordnete ihr Haar. Es war noch etwas dunkel, als sie sich auf den Heimweg machte, leichter Nebel kam über den Markt herüber. Trotzdem konnte sie aber gut erkennen, dass ihr jemand in einer schwarzen langen Kutte entgegenkam. An der etwas verstörten Art und Weise, wie sich diese Person bewegte, erkannte Maven sofort, dass es sich nur die erste Verzauberin Wylandriah handeln konnte. Die leicht verwirrte Frau grüßte die Herrin der Schwarzdornbrauerei freundlich, als sie an ihr vorbei ging.

„Maven?“

Die Angesprochene blieb abrupt stehen und drehte sich langsam um. Sie kannte die Stimme der ersten Hofmagierin gut, aber das war jetzt nicht ihre Stimme. Auch ihr Auftreten und Verhalten hatte sich verändert. Nicht mehr so verwirrt oder verstört, sondern gefährlich aggressiv, hellwach und bei klarem Verstand. Maven fühlte sich plötzlich unwohl und sah, wie etwas aus den langen Ärmeln der Kutte der Magierin hervorkroch. Es sah aus wie eine lange dünne Schlange. Mawen wollte schreien, wollte fliehen. Aber als ob sie von unsichtbaren Händen festgehalten wurde und diese sie daran hinderten zu schreien, kam ihr dieses unheimliche Etwas immer näher. Es war keine Schlange, sondern ein Seil, welches nun begann, langsam an ihr hochzukriechen. Wie von Geisterhand geführt, legte sich dieses Seil ein paar Mal um Mavens Hals und ein entstehender Knoten befestigte sich selbst.

„Eure Wahl zum Jarl von Rifton wurde leider zurückgenommen. Das tut mir aber leid! Die Kaiserlichen lassen grüssen!“

Während dies Wylandriah aussprach, befestigte sie das Ende des Seils am Geländer. Als sie damit fertig war, schaute sie noch einmal zu Maven mit gespielter und sarkastischer Mitleidigkeit herüber. Dann geschah es. Der rechte Arm der Magierin bewegte sich blitzschnell nach rechts. Maven wurde mit unsichtbarer Macht angehoben und über die Brüstung geschleudert. Ihre Hände versuchten, zwischen Hals und Seil zu kommen, aber es ging zu schnell. Sie prallte mit voller Wucht gegen die Mauer des tiefer gelegenen Rondells. Das Eigengewicht zog sie nach unten, bis das oben festgemachte Seil den Sturz abfing. Der Knoten brach Mavens Genick, sie starb lautlos.

Die unechte Wylandriah war schon längst verschwunden, als eine Wache an dieser Stelle vorbeikam. Aber sie bemerkte zuerst gar nicht, dass hier jemand gerade aufgehängt worden war.


- XIV -


Astrid weckte Cicero auf, der vor dem aufgestellten Sarg seiner Mutter schlief.

„Mein Bruder, ich habe wieder eine Aufgabe für dich. Du musst dich mit dem Thalmor Umbacalm treffen, man hat einen neuen Auftrag für uns. Und ja ich weiß, du magst Hochelfen nicht, ausgenommen meiner liebsten Freundin Gabriella. Aber mein Verbindungsmann, der sich normalerweise mit unseren Auftraggebern trifft, ist anderweitig beschäftigt. Sei höflich zu ihm, versuch es zumindest.“

Cicero war anzusehen, dass ihm dieser Auftrag wahrlich nicht behagte. Dies zeigte sich deutlich an den sich wie Irrlichter bewegenden stahlblauen Augen. Auch sein Mund verzog sich zu einer ablehnenden Grimasse, aber er willigte trotzdem ein.

„Gut Schwester, meine Mutter und ich werden uns mit ihm treffen. Nur eins sage ich dir, sollte er irgendwelche Faxen machen, lege ich ihn um!“

Astrid sah sofort, dass er es auch ernst meinte, was er sagte.

„Das wirst du hübsch bleiben lassen, wir brauchen diese Altmer. Ihre Septime sind ein wahrer Segen für uns. Die müssen wir uns warmhalten, also krümme ihm kein Haar! Ist das klar Bruder?“

„Wie Du meinst, Schwester, Cicero wird brav sein. Cicero wird dem Mann kein Haar krümmen. Cicero wird aber Mutter zu Rate ziehen, falls Cicero den Thalmor nicht versteht!“


- XV -


Die drei Männer schritten durch das hohe Stadttor Windhelms. Sie bemerkten sofort, dass irgendetwas in der Stadt der Könige vorging. Windhelm war aufgeschreckt wie ein Schwarm Arbeitsbienen, die ihre Königin suchten. Kinder blickten voller Angst um sich, und krallten sich an der Bekleidung ihrer Mütter fest. Auch in den Gesichtern der Einwohner konnte man die Furcht wahrhaft erkennen. Engar ließ die Männer erst einmal stehen und ging zu einer Wache, um zu erfahren, was in der Stadt vor sich ging. Kurze Zeit später kam er nachdenklich mit der gewohnten Hügelstirn zurück.

„Es ist wieder ein Mord an einer jungen Frau geschehen. Es sieht fast genauso aus, wie vor drei Jahren. Aber nur fast!“

Der alte Sturmmantel blickte jetzt ebenso verwirrt um sich.

„Was ist denn dieses Mal anders?“

Cidius schaute seinen neuen Begleiter fragend an.

„Man hat ihr den Hals durchgeschnitten und sie auf einem Steingrab dort drüben einfach abgelegt. Heute morgen hat man auf diesem Grab einen mit Blut geschriebenen Buchstabe entdeckt. Ein „T“. War wohl das letzte, was diese Frau noch tun konnte. Ich kannte sie gut, Arivanja ist die Frau meines besten Schützen. Ein Mitglied meiner Spezialeinheit. Sie hatte noch etwas gesehen, bevor sie starb und das wollte sie uns wohl noch mitteilen. Ich möchte nicht wissen, wie es Thonro geht…“

Engar zeigte in die Richtung, wo man die junge Frau gefunden hatte.

„Wir kennen den alten Friedhof sehr gut und auch die damaligen Ereignisse sind uns bestens bekannt.“

Faendal konnte nur den Kopf schütteln.

„Also wer jetzt noch an Zufälle glaubt, der ist schief gewickelt.“

„Da hast du vollkommen recht mein Freund. Dieser Mord war nur nachgemacht, denn der wahre Mörder sitzt doch im Kerker! Oder hat man sich damals den Falschen geschnappt? Engar?“

Der Kommandant blickte verwirrt zu Cidius.

„Das mit Sicherheit nicht. Zu viele Beweise sprachen gegen den Ersten Verzauberer und von einem Partner oder Mittäter haben wir nie gehört. Und warum würde dieser dann gerade jetzt zuschlagen, das passt einfach hinten und vorne nicht. Man treibt hier ein gefährliches Spiel in Himmelsrand. Als...“

„Kommandant Engar!“

Der alte Krieger wurde durch diesen Ruf unterbrochen. Er dreht sich um, und sah Thonro auf sich zukommen. Sein Schütze hatte Tränen in den Augen, man konnte Leid und Unverständnis in seinem Gesicht erkennen. Aber auch rasende Wut, die in seinen Augen blitzte. Als der Mann bei seinem Befehlshaber angelangt war, legte Engar die Hände auf seine Schulter und zog ihn wie einen Sohn an sich.

„Es tut mir so leid. Ich schwöre dir, wer es auch getan hat, er wird damit nicht davonkommen. Bei den Göttern! Aber wir haben keine Zeit zum Trauern. Wie du schon erfahren hast, gehen ungeheuerliche Dinge in Himmelsrand vor. Und ich ahne, dass der Mord an deiner Frau ein Teil dieses mörderischen Spiels ist. Du musst mit meiner Einheit nach Weißlauf und meinen Bruder beschützen!“

Thonro sah Engar mit großen traurigen Augen an.

„Aber meine Frau! Ich muss ihr doch das letzte Geleit...“

Der junge Mann schaute verwirrt die drei Gefährten abwechselnd an.

„Du wirst Arivanja die letzte Ehre erweisen, das verspreche ich dir. Ich werde mich darum kümmern, dass man sie nicht ohne dich beerdigt. Das ewige Eis wird sie für den Gesang der Trauernden bereithalten. Aber der Schutz der Lebenden hat oberste Priorität, um die wir uns in dieser schweren Zeit kümmern müssen. Wirst Du dies für mich tun?“

Engar schaute Thonro fest in die Augen.

„In Ordnung. Ich sag es den anderen und breche sofort auf. Deinem Bruder wird nichts geschehen, das schwöre ich auch im Namen der anderen Mitglieder unserer Einheit.“

Die Stimme des Mannes gewann an Festigkeit, obwohl der Schütze immer noch zwischen Unbehagen und Ungewissheit schwankte.

„Was erwartet uns, beziehungsweise wer trachtet nach den Leben deines Bruders?“

Engar schaute zu Cidius, damit er diese Fragen beantworten konnte.

„Wir wissen nicht, ob auch andere hochgestellte kaiserliche Anhänger auf der Liste der oder des Mörders stehen. Wir wissen nur, das der Killer extrem gefährlich und einfallsreich ist, äußerst präzise vorgeht und schwarze Magie anwendet. Besondere Aufmerksamkeit und Wachsamkeit ist angebracht! Ein Fehler und der Tod verrichtet seine Arbeit.“

Thonro schaute Cidius mit großen Augen an, als dieser mit seiner Erklärung fertig war.

„Bloß gut, dass wir drei Brüder mit dem Wissen der Magie in unserer Einheit haben. Sonst ständen wir ziemlich machtlos gegen solch einen Gegner da. Also gut! Wir sollten keine Zeit verschwenden und der Ritt nach Weißlauf wird hart. Engar…“

Er salutierte vor seinem Kommandanten und verbeugte sich zum Abschied vor Faendal und Cidius. Aber bevor er losging, rief ihm Cidius noch einen Tipp nach.

„Haltet Eure Augen offen nach einem allein reisenden Mann in einem dunkelbraunen Narrenkostüm! Wir sind uns nicht sicher, aber das könnte unser Killer sein.“

Der Schütze schaute ungläubig Cidius an, aber nickte nur. Danach entschwand er schnell in Richtung des Palastes der Könige. Cidius war trotz der aufkommenden Müdigkeit ziemlich aufgewühlt.

„Das ist nur der Anfang. Ich könnte schwören, dass wir über kurz oder lang von weiteren unheimlichen Ereignissen hören werden. Da brate mir doch Einer einen Skeever! Das sind keine Zufälle mehr, das ist geplant! Wir sollten schleunigst mit dem Knastbruder reden.“

Wie recht Cudius mit seiner Ahnung haben sollte, würden er und seine Freunde noch früh genug erfahren. Als ob die Götter seiner Prophezeiung zustimmen würden, tauchten diese Mächte den Himmel in ein unheimliches Grau und ein schwerer Blizzard zog auf. Wie auf Kommando wurde die Innenstadt menschenleer.

Doch keiner der Anwesenden schenkte dem wichtigen Hinweis, den die Frau hinterließ, über Gebühr Beachtung. Zu sehr war man von dem schrecklichen Ereignis betroffen und zum Handeln gezwungen.


- XVI -


Im Thronsaal angelangt, war nur ein alter Krieger anwesend. Der Bärenkopfhelm auf seinem Haupt ließ erkennen, dass es sich um einen weiteren hochgestellten Offizier der Sturmmäntel handeln musste. Als sie sich dem Thron näherten, wies Engar seine Begleiter an zu warten. Cidius ließ sich einfach auf den leeren Thron fallen, die Müdigkeit hatte ihn ob der letzten schlaflosen Nacht und der neuen Ereignisse schnell eingeholt. Er musste sich zwingen, nicht einzuschlafen.

Die Respektlosigkeit seines Handelns konnte er gut an der Entrüstung des alten Offizier sehen, denn während dieser sich mit Engar unterhielt, schaute er ab und an mit bösem Blick zu Cidius herüber. Als sie mit ihrem kurzen Gespräch fertig waren, kamen sie zu den wartenden Freunden.

„Das ist Galmar-Steinfaust, die rechte Hand von Ufric Sturmmantel und auch ein guter Freund meinerseits. Und dies sind meine neuen Begleiter Faendal aus Flußwald und Cidius, Sohn des General Tullius.“

Galmar reichte erst dem Bosmer die Hand zum Gruß und dann dem auf dem Thron sitzenden jungen Mann. Als Cidius ohne aufzustehen den Gruß erwiderte, merkte er sofort an dem äußerst festen Händedruck, dass dem ersten Offizier der Sturmmäntel seine Anmaßung sehr missfiel.

„Kommandant Engar, der Umstand gefällt mir nicht, dass Ihr Eure Einheit nach Weißlauf schicktet, um den dort ansässigen Jarl zu beschützen. Wir brauchen jetzt jeden Mann, falls die Kaiserlichen beabsichtigen uns anzugreifen. Nach allem was passiert ist, ist das nicht mehr auszuschließen. Das könnte noch mehr Feuer schüren und Ulfric Sturmmantel wird Euer eigenwilliges Tun auch nicht gutheißen.“

Galmar-Steinfaust wirkte sehr bedrückt, die ganze Situation lag ihm schwer auf dem Gemüt. Und dass sein Freund eigenmächtig Soldaten zum Feind schickte, brachte das Fass fast zum Überlaufen.

„Engar tat dies nur zum Schutz seines Bruders und will damit unmissverständlich zeigen, dass die Nord nichts mit den Morden zu tun haben. Sein gemachter Vorschlag und sofortiges Handeln ehren ihn. Dieser Umstand hat mir die Unschuld der Nord bewiesen. Die Verursacher dieser unglaublichen Situation sind mit allen Wassern gewaschen und wenn wir uns jetzt nicht gegenseitig unterstützen, artet dieser Krieg in einen alles zerstörendenden Sturm aus. Ulfric machte den ersten Schritt, er schickte mir Engar zur Unterstützung. Dieser machte dann den Zweiten und lässt seinen Bruder und Jarl von Weißlauf schützen. Also lasst uns diesen unnötigen Streit beenden, bevor er beginnt. Wir haben Wichtigeres zu tun, um das aufzuhalten, was auf alle Menschen von Himmelsrand unaufhaltsam zurollt.“

Cidius ließ seinen Kopf schwer und müde in die rechte Hand des aufgestützten Arm fallen, nachdem er mit der Inschutznahme seines neuen Partners fertig war.

„Da wird doch das Huhn in der Pfanne verrückt! Erst schienen es nur ein paar eigenartige Mordfälle zu sein. Jetzt bricht es aus, als ob man einen Pickel ausdrückt, weil der schmerzhafte Druck einen dazu zwingt, ohne ihm die Chance der Selbstheilung zu lassen. Und genau das passiert hier und jetzt. Als ob ein Rüttelfieberkranker durch Himmelsrand wandert und alle ansteckt und diese dann zu mordenden Gestalten mutieren. Ich weiß ja nicht einmal mehr, wo ich zuerst anfangen soll!“

Die letzten Worte kamen langsam und gepresst aus seinem Mund.

„Wie wäre es zuerst damit, wenn Ihr Euch aus meinem Thron erhebt!“

Ulfric kam ruhig aus dem Kartenraum. Er hatte alles mitgehört, weil man sich nicht sonderlich leise unterhalten hatte. Wie von einer Hornisse gestochen sprang Cidius auf und entfernte sich - plötzlich hellwach - etwas vom Thron. Galmar-Steinfaust konnte sich wegen der Situation ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen, während Ulfric nun seinen Platz einnahm. Aber auch er sah müde aus, die letzten Ereignisse hatten ihn sehr mitgenommen. Das war deutlich an seinem besorgtem Gesichtsausdruck zu erkennen.

„Ich entschuldige mich ob meiner Anmaßung! Ich...“

„Schon vergessen, junger Mann. Aber Ihr habt gut gesprochen, das hat mich sehr beeindruckt. Und das von Jemandem, der der Sohn meines ärgsten Widersachers ist.“

Ulfrics Worte waren schwer und bedrückt ausgesprochen worden. Galmar-Steinfaust war noch mehr überrascht, denn früher hätte Ulfric denjenigen sofort köpfen lassen bei solch einer Anmaßung; unabhängig davon, wer es war. Niemand hätte es gewagt, den Thron auch nur anzufassen, geschweige denn sich einfach daraufzusetzen. Aber die Zeit war im Wandel begriffen, so auch die Menschen.

„Kommandant Engar! Ihr habt recht getan, Jarl Balgruuf eure Hilfe anzubieten und zu gewährleisten. Unabhängig davon, ob er nun Euer Bruder ist oder nicht. Nur so können wir zeigen, dass wir nicht die Verursacher dieser schlimmen Ereignisse sind.“

Ulfric Sturmmantel blickte nun zu Cidius.

„Aber wie auch immer… Folgendes könnt Ihr Eurem Vater ausrichten lassen: Ich werde mich nicht so einfach beugen, wenn er meint, uns dafür verantwortlich machen zu müssen. Auch wenn es meinen Untergang und der meines Volkes bedeuten sollte. Aber das werde ich nicht zulassen! Also was habt ihr vor? Wie kann ich Euch helfen?“

Diese Worte wurden nun mit fester Entschlossenheit ausgesprochen und wer Ulfric kannte, wusste auch, dass er es damit auch ernst meinte.

„Wir müssen uns unbedingt mit Eurem Gefangenen, dem ehemaligen Ersten Verzauberer unterhalten. Er weiß womöglich Dinge, die uns vielleicht helfen könnten, der Aufklärung einen Schritt näher zu kommen. Ob er uns die Wahrheit sagen wird, sei noch dahingestellt, aber wenn wir ihm etwas anbieten, könnte man ihn zur Zusammenarbeit bewegen. Damit wäre uns schon geholfen.“

Cidius schaute in die Runde und fand allgemeine Zustimmung. Dann sah er die dunkle Gestalt, die sich im Kartenraum befand und auffallend interessiert dem Gespräch im Thronsaal zuhörte. Ein Gefühl des Unbehagens und der Warnung kam in dem jungen Mann auf, aber es verflog sofort, als Ulfric jemanden anwies, den Gefangenen herzubringen.