DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 1 - Der Tod sucht nicht -


- IV -


„Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Nur ein Irrer würde sich in die Höhle des Löwen trauen und dabei unerkannt einen angesehenen Fürsprecher des Kaisers töten. Auch ist doch dieser Schuss schier unmöglich!“

Faendal hatte keinerlei Erklärungen parat, wie der Schütze dies vollbracht haben sollte. Zu viele Dinge sprachen gegen diesen unheimlichen Schuss. Es war um die Mittagszeit passiert, also stand die Sonne genau vor dem Schützen und hätte ihn blenden müssen. Dazu kam noch die unglaubliche Entfernung und das nicht zu sehende Ziel, vor allem durch die Mosaikfenster des Palastes. Kein Meisterschütze den er kannte, hatte die Fähigkeit, das Ziel nur zu erahnen und dann auch noch den Vogt so perfekt zu treffen. Das war einfach unvorstellbar.

Ebenso wie die Tatsache, dass der Schütze unsichtbar gewesen sein musste. Denn die Mauerwachen machten in kurzen Abständen ihre Runde und wegen des Bürgerkrieges wurden die Wachen noch verstärkt. Kein normaler, selbst professioneller Mörder war so schnell, dass er unbemerkt hier hoch kam, das Ziel ins Visier nahm, diesen perfekten Schuß tätigte und wieder ungesehen verschwand. Das ging nur mit schwarzer Magie, eine andere Erklärung gab es nicht, zumindest nicht für einen normalen Menschen mit klarem Verstand.

Cidius und Feandal hatten alles am, um und auf den Turm des Hauptquartiers der kaiserlichen Armee durchsucht. Nichts war zu erkennen, nicht die kleinste Spur. Nicht einmal das kleinste verdächtig erscheinende Staubkorn war vorhanden, genauso, als ob ein Geist diese Tat ausgeführt hätte. Auch hatten sie diejenigen Wachen befragt, die immer noch auf denselben Rundgängen waren. Niemand hatte etwas Verdächtiges bemerkt oder gesehen.

„Das entwickelt sich schwieriger als vorhergesehen. Wenn dunkle Mächte im Spiel sind, wird es verdammt schwer, dieser Tat auf die Spur zu kommen. Ich brauch einen großen Krug Met. Lass uns in den „Skeever“ gehen und beratschlagen, was wir als Nächstes tun werden. Das Reden mit den Einwohnern können wir uns sparen. Wenn selbst die Soldaten nichts bemerkt haben, wie sollen da normale Bürger dabei hilfreich sein.“

Cidius fuhr durch sein halblanges Haar und sein Freund bemerkte, dass bei dem jungen Mann vorläufig nur Ratlosigkeit überwog. Von einer zündenden Idee, wie sie sich an die Fährte des Mörder heften sollten, war nichts zu merken.


Beide erreichten den Platz vor dem Hauptquartier des Militärs. Einige Soldaten verrichteten ihre stetig wiederholenden Zielübungen, andere waren dabei, mit ihren Schwertern die Übungspuppen zu traktieren. Eine wunderschöne schwarzhaarige Frau betrat ebenfalls den Kasernenplatz und das nachdenkliche Gesicht von Cidius nahm glückliche Züge an. Er ging zu ihr, nahm sie in die Arme und drückte ihr einen langen Kuss auf den Mund.

„Na mein Schatz, schrecklich was im Palast passiert ist! Ich hab schon mitbekommen, dass dein Vater dich beauftragt hat, dieser Tat auf den Grund zu gehen.“

„Vittoria! Du bist der schönste Lichtblick, den ich zur Zeit habe. Kommst du mit in die Taverne?“

„Es ist nicht mal Abend, und du willst schon etwas trinken? Ich dachte, wir machen uns heute einen schönen Abend! Allein bei mir!“

Vittoria Vici zog einen Schmollmund.

„Du hast doch nur Wein zu Hause, und ich brauch jetzt etwas Kräftiges! Danach können wir ruhig zu dir gehen und du kannst mich dann wieder verwöhnen. Keine kann das besser als du!“

Er umschlang dabei ihre Wespentaille und zog sie an sich heran.

„Wie wäre es mal, wenn du mich verwöhnen würdest!“

Lächelnd und mit heißen Blicken küsste Vittoria Cidius auf die Wange. Fest umschlungen machte sich das Paar dann auf, die Kneipe zu besuchen, Faendal folgte ihnen mit einigen Schritten Abstand.


- V -


Der Tag ging feuchtfröhlich im „Zwinkernden Skeever“ in den Abend über und die Taverne war gut gefüllt. Aus der Absicht, nur „etwas“ Kräftiges zu trinken, wurde ein kleines Besäufnis. Die Anwesenheit Vittorias ließ Cidius die letzten Ereignisse vergessen, ihr war aber das etwas ungenierte Verhalten ihres Liebsten unangenehm. Als Thane muss man eben auch auf die Etikette achten. Deshalb stand sie auf, und neigte sich zu ihrem Schatz hinunter.

„Ich werde jetzt gehen, mein Liebster. Wann wirst du zu mir kommen?“


Während sie das in sein Ohr hauchte, küsste Vittoria seine linke Wange.

„Bald mein Sonnenschein! Nur noch ein paar Worte mit Faendal und dann bin ich bei dir!“

„Wehe du lässt mich sitzen!“

Sie drehte sich um und ging leicht schwankend Richtung Ausgang. Während sie die Tür öffnete, drängten fünf düster dreinschauende Männer an Vittoria vorbei in die Schenke. Sie ließen sie pfeifend vorbei und gingen schnurstracks zu dem Tisch, an dem der Sohn des Generals saß. Ein riesiger Bretone nahm dessen Krug Met und ergoß ihn vollständig über seinem Kopf, danach umschloß seine rechte Hand, einer riesigen Pranke vergleichbar, den Hals des jungen Mannes. Mit einem Ruck, als ob Cidius ein Fliegengewicht wäre, riß er ihn vom Stuhl hoch. Kurze Zeit später baumelte der nach Luft ringende Mann in der Luft.

„Du elender Mistkerl! Du hast meinen Bruder gejagt, gefoltert und dann einfach umgelegt!“

Der Riese zog Cidius näher an sein Gesicht heran.

„Bei allen Göttern! Du solltest was gegen deinen schlechten Atem tun. Oder war der letzte Skeever nicht mehr frisch? Kennen wir uns? Ich weiß zwar nicht, wer dein Bruder ist oder war, aber wenn er ein Verbrecher war, dann hatte er es wohl auch verdient.“

Unbemerkt spannte Cidius seine am Gürtel baumelnde Handarmbrust. Schwieriger gestaltete sich das Einlegen des kleinen Stahlbolzens.

„Mynre hieß mein Bruder! Soll ich dir vielleicht seinen Namen in die Stirn brennen, du Sohn einer räudigen Hündin?“

„Das war nicht nett, Mann! Niemand spricht so über meine Mutter!“

Ein leises Klicken war zu hören, dann der Aufschrei des schlechtgelaunten Raufbolds. Der kleine Bolzen war durch den rechten Stiefel gefahren, und nagelte den sehr großen Mann schmerzhaft am Boden fest. Gleichzeitig wurde Cidius dadurch von dem unangenehmen Würgegriff seines Gegenübers befreit. Der Sohn des Generals brachte sich schnell in Sicherheit, während er sich den schmerzenden Hals rieb. Doch da war schon der nächste Raufbold bei ihm, aber nun griff auch Faendal ein. Noch bevor der Schläger sich seinem Freund widmen konnte, tippte der Elf ihm auf die Schulter. Dieser drehte sich um und ging sofort in Deckung, als er die Faust auf sich zukommen sah. Leider traf Faendal dadurch nicht den dafür Vorgesehenen, sondern Cidius hart am Kinn, sodass er nach hinten taumelte.

„Aua! Das tat weh mein Freund, trink mal mehr Zielwasser!“

Mit der linken Hand bewegte er seinen Unterkiefer, ja, alles schien noch intakt zu sein. Faendal hob leicht grinsend seine Schulter an, als ob er sich dafür entschuldigen wollte. In diesen Moment wurde er gegen den Tresen geschleudert, als ein gewaltiger Faustschlag ihn von rechts traf.

Aber das war nun der Anfang einer deftigen Prügelei. Schon nach kurzer Zeit waren alle Anwesenden darin involviert, nur der Inhaber schnappte sein Gold und rannte hinunter in den Keller, um sich in Sicherheit zu bringen. Derweil hatte es Cidius mit zwei der fünf Schläger zu tun, doch nur einer konnte sich dem jungen Mann stellen. Sein Partner blieb urplötzlich erstarrt stehen, weil die liebreizende Bardin ihr Musikinstrument missbraucht hatte und die harte, aus Ebenholz hergestellte Laute auf den Kopf des rechts stehenden Mannes krachte, jedoch ohne dabei kaputt zu gehen. Mit verdrehten Augen und einem dümmlichen Grinsen fiel der Raufbold um wie ein Brett.

Während sich Cidius noch im Handgemenge mit dem anderen Kerl befand, hauchte er einen Kuss in Richtung seiner Retterin, jedoch konnte er seinen Freund in dem ganzen Durcheinander nicht mehr sehen. Sein Kontrahent befreite sich aus seiner Umklammerung, das Narbengesicht holte zu einem Schwinger aus, aber schlug nur vorbei, da der junge Mann sich wegduckte. Hinter ihm ging ein Zierglas zu Bruch, im dem ein Flusskrebs schlummerte. Cidius fing das Krustentier reaktionsschnell auf, während sein Gegner mit dem Rücken zu ihm zum Stehen kam. Blitzschnell steckte er den Krebs in die Hose seines Widersachers.

„Ist der Krebs erst einmal in der Hose, geht er los mit viel Getose!“

Während er dies lächelnd aussprach, schubste er den Kerl wieder in den Raum hinein. Hüpfend und schreiend versuchte dieser nun, sich von dem Ding in seiner Hose zu befreien. Während die Scheren des Krebses nun an der schmerzhaften Befreiung aus der übelriechenden Finsternis arbeiteten, wollte Cidius nun seinem Freund zu Hilfe eilen. Er sah den Elf und war im Begriff zu ihm zu rennen, als die Eingangstür aufgestoßen wurde und mehrere Stadtwachen hereinstürmten. Die Soldaten hatten einiges zu tun, um die aufgebrachte Menge in der Wirtsstube zu beruhigen. Dieses Unterfangen ging bei ihnen auch nicht ohne blaue Augen und blutende Lippen über die Bühne. Aber als noch mehr Soldaten ihren Kameraden zu Hilfe eilten, konnte man das Chaos endlich beenden.


- VI -


Da Cidius der Sohn des Generals und auch sein Freund bei den Wachen bekannt war, konnten sie kurze Zeit später unbehelligt ihrer Wege ziehen. Die Verursacher der Schlägerei jedoch wurden kurzerhand in den Kerker geworfen. Die beiden Gefährten begaben sich nun endlich zu Vittoria Vici; ein Riss über dem rechten Auge von Cidian blutete stark und begann unangenehm zu pochen. Am Haus seiner Liebsten angelangt, wurden sie schon erwartet. Vittoria hatte schon geahnt, das er in so einem Zustand ankommen würde. Sie wunderte sich nicht darüber, das war schon fast ein Normalzustand, wenn Cidius Einsamkeit einen Besuch abstattete. Sie ließ beide hinein und der Blutende setzte sich an einen Tisch.

„Wann erlebe ich mal, das du zu mir kommst und keine Schramme von einer Kneipenschlägerei hast?!“

Vittoria drückte absichtlich etwas härter auf die Wunde über seiner rechten Schläfe, nachdem sie saubere weiße Tücher geholt hatte. Der Schmerz fuhr in seinen Kopf und verstärkte noch mehr sein schon vorhandenes gewaltiges Dröhnen.

„Au! Madame, bist du heute aber grob!“

Er zog ihre Hand von der Wunde weg, und schon rann das Blut wieder aus dem Riss.

„Recht so! Bist du ein Mann oder eine Mimose? Jetzt halt still und vor allem die Klappe!“

Damit presste die Schönheit das Tuch wieder auf die Kopfwunde.

Faendal stand an ein Bücherregal gelehnt und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Außer dem dunklen Kreis an seinem rechten Auge sah er weniger ramponiert aus als sein kaiserlicher Freund. Die nächsten Tage würde dieser Kreis verschiedene Farben annehmen, aber das war er schon gewohnt, seit er mit Cidius auf Verbrecherjagd ging. Vor zehn Jahren hatten er und Cidius eine Art Detektei gegründet und sich der Verbrechensbekämpfung verschrieben. Allerdings waren ihre bisherigen Aufträge im Endeffekt eher eine Kopfgeldjagd, aber man konnte gut davon leben.

„Faendal, steh da nicht so rum, sondern hol mir warmes Wasser aus dem Kessel! Und wenn du schon dabei bist, dann hol auch Nadel und Faden aus der Kommode. Mach dich nützlich, ich muss die Wunde zunähen!“

„Jawohl werte Dame!“

Kurze Zeit später kam der Bosmer mit dem Gewünschten wieder zurück und stellte es grinsend auf dem Tisch ab.

„Gut! Jetzt hilf mir dabei, wenn ich den Riss vernähe. Du tupfst dabei das Blut ab!“

Während der Waldelf den Anweisungen der resoluten Vittoria folgte, unterhielten sich beide Freunde.

„Wir sollten heute...“

Cidius wurde mit der Nadel in die Hüfte gepiekt. Die junge Frau blickte missmutig, wenn nicht sogar verärgert auf ihren Schatz, als er überraschend ob ihrer Reaktion seinen Kopf zu ihr drehte.

„Nichts da, du wirst hübsch heute nichts tun und deine Wunde ausheilen lassen!“

„Ich gehöre ganz dir, Vittoria. Also übermorgen werden wir nach Weißlauf reiten, vielleicht erfahren wir dort mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass bei beiden Morden ein Zusammenhang besteht.“

„Der Meinung bin ich auch. Zwei Vogte, beide treue Anhänger des Kaiserreichs, das ist ein Zufall zuviel.“

Feandal nickte zustimmend.

„Bloß gut, das die Ära der Drachen vorbei ist. Damit wird das jetzige Reisen etwas angenehmer. Habe keine Lust mehr auf weitere geflügelte Bekanntschaften, die mich fressen wollen.“

Der Elf schüttelte sich die böse Erinnerung ab, als ob eine Armee von Ameisen über seinen Körper maschierte.

„Vergiss die Drachen, so wie die Sachlage in Bezug „schwarze Magie“ ist, werden wir es zwar nicht mit diesen mystischen Viechern zu tun bekommen, aber der neue Gegner ist wohl gerissener und weitaus heimtückischer! Wenn ich mit meinen Ahnungen recht behalten sollte, dann wird es böse. Da kannst du Gift drauf nehmen.“

„Hoffentlich hast du unrecht...“

Faendal schaute Cidius mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Er ahnte, mit welchen Gedanken sein Freund sich beschäftigte und wenn er recht behalten sollte, würde es wirklich böse werden.


- VII -


Die Frau beobachtete den knienden Mann, der vor einem hochgestellten Sarg verwirrte Sätze von sich gab, schon eine Ewigkeit. Er hielt wieder einmal ein langes Zwiegespräch mit seiner „Mutter“. Jedesmal das Gleiche, bevor er sich für einen Auftrag fertig machte, oder wenn er davon wieder zurück kam. Gabriella näherte sich langsam ihrer Anführerin, bei ihr angekommen, umschlangen ihre Arme deren Bauch und legte ihren Kopf an Astrids linke Wange.

„Cicero ist mir unheimlich. Er ist zwar unser Bruder...“

„Und der beste Mann, der je in der Bruderschaft war. Er ist zwar ein Psychopath, ein Wahnsinniger in einem „Narrenkostüm“. Aber der schlimmste Alptraum für jeden, den er sich vornimmt. Von ihm könnte selbst ich noch Einiges lernen, obwohl ich nicht wenig vermag. Aber dieser Irre steckt uns allesamt in die Tasche.“

Astrid befreit sich sanft aus der Umarmung Gabriellas und ging auf den Mann zu.

„Mutter, ich danke dir für deine Hilfe! Es ist mir immer wieder eine Ehre, mit dir zusammenzuarbeiten...“

Cicero verbeugte sich mehrmals vor dem Sarg.

„Cicero, mein Bruder! Wie ist es gelaufen, ist der Auftrag erfüllt?“

„Cicero kommt ungesehen! Cicero verschwindet ungesehen!“

„Mutter gab mir ihr allsehendes Auge, und schon war es um ihn geschehen!“

„Cicero wurde nicht bemerkt! Cicero hat wieder einmal gewonnen!“

Ein bedrohlich klingendes und irres Kichern wanderte über die Lippen des unheimlichen Mannes, als er zu seiner Schwester aufblickte. Mehr wollte Astrid nicht hören, sie wusste, dass ihr bester Killer den Auftrag zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit ausgeführt hatte.

Die Anführerin der "dunklen Bruderschaft" wandte sich ab und überließ Cicero wieder seiner 'Mutter'.