In Drachenblut geschmiedet


Kapitel 25  - Worte, die selbst harte Mauern erweichen -




 

Samara betrat das Kloster, während Kematu seinen inneren Frieden suchte. Sie schaute sich um. Die riesige Vorhalle ließ den Betrachter schon beim Eintreten ein mächtiges Mysterium spüren.Trotz des kühlen Lichtes wirkte alles warm und erhaben. Das Drachenblut fühlte in sich etwas aufsteigen, als ob das Innere von ihr spürte, hier zu Hause zu sei.


Plötzlich erschienen, wie im Einklang verschmolzen, vier in dunkle Kutten gekleidete Gestalten. Ihre Gesichter waren aufgrund der gesenkten Häupter, eingehüllt in weiten Kapuzen, kaum zu sehen.

Zwei von ihnen kamen von den Treppen vor ihr herunter. Zwei weitere erschienen jeweils links und rechts aus den Seitengängen.

Sie blieben, wie auf Kommando, in der Mitte der Vorhalle stehen und bildeten einen Halbkreis.Dann erhoben sie alle ihre gesenkten Köpfen und blickten Samara an.

Einer der Brüder, der aus dem linken Seitengang kam, machte einen Schritt vor.

„Sieh an ein Drachenblut erscheint, gerade jetzt, am Wendepunkt des Zeitalters!“sprach er langsam und mit einem erhabenen Klang in seinen Worten zu der jungen Frau.

„Ich bin Samara Rhano! Ihr nennt mich Drachenblut! Ja,...ich habe das Blut eines Drachen in mir! Und ich weiß, dass ihr mich erwartet!“ Samara verbeugte sich vor dem Mann.

„Zuerst werden wir überprüfen, ob ihr wirklich das erwartete Drachenblut seid! Gebt uns einen Vorgeschmack Eurer Stimme!“ forderte der Kuttenträger, sie auf.

Samara ging kurz in sich. Diesmal kam ihr Schrei gewollt und kontrolliert. Sein Klang wurde mehrfach von den Wänden reflektiert.

Der Auffordernde und der hinter ihm stehende Mann wurden leicht nach hinten gestoßen.

„Drachenblut. Ihr seid es. Willkommen in Hoch Hrothgar!“ Diesmal verbeugte sich der Bruder vor der Frau. „Ich bin Meister Arngeir und spreche für die Graubärte!“ stellte sich nun der Mann vor.

„Ja! Wir haben Euch erwartet! Ja! Wir haben Euch Mirmulnir geschickt um Euch zu prüfen, um sich zu opfern! Nur ihm stand es zu, weil er Euch sein Blut gab, selbst das Ritual der Opferung durchzuführen! Ihr seit unsere Auserwählte!“ Samara begann langsam, die ganzen Zusammenhänge zu verstehen.

„Ich habe schon Einiges über Euch und Euren Orden erfahren, aber nur vom Hörensagen her! Aber nur soviel wie die Teile eines Mosaiks! Erklärt mir bitte nun, was ist das für ein Ort? Wer oder Was seid Ihr?“

Arngeir bemerkte die leichte Unsicherheit der Frau.

„Nun, wie Ihr richtig festgestellt habt, sind wir, die Graubärte! Wir folgen dem Weg der Stimme! Ihr steht in Hoch Hrothgar, auf der Spitze des Berges von Kynareth! Hier kommunizieren wir mit der Stimme des Himmels und versuchen, ein Gleichgewicht zwischen unserem inneren und äußeren Ich herzustellen!


Unser Orden wurden von Jürgen Windrufer gegründet. Dieser Gründer errichtete ein Kloster auf dem Hals der Welt. Wir folgen seit jeher seinen Lehren, dem Weg der Stimme.

Die Stimme war ein Geschenk, das Kynareth den Menschen machte, durch welches sie wie Drachen sprechen konnten. Die einzige wahrhaftige Verwendung der Stimme dient zum Ruhm und der zur Verehrung der Götter, obwohl sie häufig missbraucht wird. Wir Graubärte versuchen, das Gleichgewicht zu erreichen, wobei der Geist mit den inneren und äußeren Handlungen im Einklang sein muss indem wir den Himmel, Kynareths Reich und die praktische Anwendung der Stimme studieren!“

Aufmerksam hatte Samara den Erläuterungen von Arngeir zugehört.

„Ich habe lange mit meinem inneren Selbst gekämpft! Doch nun bin ich bereit, mich meinem auferlegten Schicksal zu stellen!Ich möchte herausfinden was es bedeutet ein Drachenblut zu sein!“

Der Sprecher der Graubärte sah in ein entschlossenes Gesicht, und mit nickender Geste sprach er weiter. „Wir haben Euren Werdegang bis hierher verfolgt! Die Euch bisher auferlegten Prüfungen waren wirklich nicht leicht. Schwer zu ertragen für Geist und Seele!

Aber Ihr habt sie weise und stets hinterfragend gemeistert! Vor allem habt Ihr, Samara, endlich den inneren Frieden gefunden! Die Basis für den weiteren Weg, der Euch nun bevorsteht! Wir sind hier, um Euch bei diesem Anliegen zu helfen, so wie die Graubärte jedem Drachenblut geholfen haben, das vor Euch kam!“

„Ihr meint, ich bin nicht das einzige Drachenblut?“ leicht irritiert schaut Samara den Meister an.

„Ihr seid nicht das Erste! Es hat viele gegeben, seit Akatosh die Gabe zum ersten Mal einem Sterblichen verlieh. Ob Ihr das einzige Drachenblut dieses Zeitalters seit? Leider ja!

Euer erlittenes Schicksal, ließ uns Euch wählen! Auch haben wir keine Zeit mehr, einen weiteren Anwärter zu suchen! Zu schnell, haben sich die Ereignisse überschlagen! Und der Gegner ist stärker als jemals zuvor!“

„Das hat mir ungefähr auch schon Mirmulnir gesagt!Das Ihr keinen weiteren Champion habt, dem ein anderes Drachenblut den Weg weist falls ich scheitern sollte!" Samara konnte sich noch sehr genau an die Worte erinnern.

„So ist es! Seid Ihr nun bereit, den angefangen Weg der Stimme weiter zu gehen?“Arngeir wartet nur noch auf die Bestätigung. Die feste Entschlossenheit, ist zu deutlich in der Kriegerin zu sehen.

„Das bin ich!“ Mit klarer und sicherer Stimme bestätigte sie die Frage des Meisters.


„Ihr habt bereits bewiesen, dass Ihr das erwählte Drachenblut seid. Durch das Ödsturzhügelgrab habt Ihr das erste Wort des Thu`ums erhalten. FUS!

Das erste Wort der Unerbittlichen Macht, was „Kraft“ bedeutet. Durch die Seele des geopferten Drachen habt Ihr dann die Möglichkeit erhalten, Wort und Seele zu verbinden. Durch Mirmulnir habt Ihr die Ausbildung bereits begonnen. Das Bündeln Eurer Stimme als Thu´um, als Schrei, waren die ersten Schritte. Jetzt werden wir sehen, ob Ihr weiter bereit, fähig und diszipliniert seid, zu lernen. Wenn Ihr einen Schrei nutzt, sprecht Ihr in der Sprache der Drachen. Das Blut des Drachen befähigt Euch, weitere Worte der Macht zu lernen.

Alle Schreie bestehen aus drei Wörtern der Macht. Mit jedem Wort, das Ihr meistert, wird der Schrei stärker! Meister Einarth wird Euch nun “RO“ lehren, das zweite Wort der Unerbittlichen Macht! „RO“ bedeutet in der Drachensprache „Gleichgewicht“. Kombiniert es mit „FUS“, um Euren Thu`um zu bündeln!

Der Mann, der hinter Arngeir stand, stellte sich nun an den Rand des in der Mitte befindlichen großen Vierecks mit neun weiteren, kleineren Quadraten.

„RO“! Der Lehrer schrie ein Rechteck an.

Wie aus dem Nichts erschienen glühende Zeichen in einem der kleineren Quadrate. Einarth forderte nun Samara mit einer Handbewegung auf, näher heranzutreten.

Leicht zögerlich ging die Frau an die Zeichen heran. Angekommen spürte sie, wie eine unsichtbare Energie durch ihren Geist floß und das Wort aufsaugte. Arngeir nahm erfreut und erstaunt die Aufnahme des Wortes zur Kenntnis.

„Ihr lernt neue Wörter wie ein Meister! Euch zur Auserwählten zu machen, war eine weise Entscheidung! Aber das Lernen eines Wortes ist nur der erste Schritt. Ihr müsst seine Bedeutung durch ständiges Üben entschlüsseln, um es in einem Schrei nutzen zu können!

Nun, so lernt den Rest von Unseren Schreien! Als Drachenblut könnt Ihr die Lebenskraft sowie das Wissen eines getöteten Drachens direkt aufnehmen!“ gibt der Meister zu bedenken. „Als Teil Eurer Einführung wird Euch Meister Einarth an seinem Verständnis von „Ro“ teilhaben lassen!

Samara staunte nicht schlecht, als aus dem Lehrer vom „RO“ bekannte Sphären eines verstorbenen Drachen erscheinen und in sie einströmten. „Seid Ihr Drachen in Menschengestalt?“ ungläubig blickte sie auf Arngeir.

„Nein! Mitnichten! Aber wir besitzen die Gabe, deren Seelen an den Auszubildenden weiterzugeben!“ „Aber dann seid Ihr also auch Drachentöter?“ bohrte die Frau weiter.

„Mein Kind, auch das nicht! Wenn die Zeit reif und Eure Ausbildung weiter fortgeschritten ist, werde Ihr es erfahren!“

Samara müsste sich wohl gedulden, um darauf eine Antwort zu erhalten.

„Jetzt zeigt uns, wie schnell Ihr Euren neuen Thu`um meistern könnt! Nutzt Euren Schrei der Unerbittlichen Macht, um die Ziele zu treffen sobald sie erscheinen.“ setzte Arngeir die Ausbildung fort.

Die Ziele erschienen wie aus einer anderen Dimension. Schattenhafte Wesen tauchten auf. Jedes Ziel wurde nacheinander durch Samaras neu erlernten Drachenschrei wieder dahin zurückgeschickt, von wo es herkam, in das Nichts.

„Hervorragend!“ Arngeir war angetan von der Umsetzung des Gelernten seiner neuen Schülerin.

„Aber das war nur der erste Teil der heutigen Ausbildung! Meine drei Brüder werden Euch nun in den Hof führen! Dort werdet Ihr in das nächste Wort der Macht eingewiesen!

Meister Einarth! Ich überlasse nun die Auszubildende Euren fähigen Händen! Ich komme später nach!“

Samara folgte langsam den drei anderen Meistern, die mit erhabenen Schritten die Treppe zum Hof bestiegen.


In dem Augenblick, als das Tor zum Hof sich hinter ihnen schloss, betrat Kematu die große Vorhalle. Auch der Krieger war von der Größe und beeindruckenden Erhabenheit dieser Hallen schwer angetan.Der Falke „Schwarzauge“, der eben noch auf seiner linken Schulter saß, erhob sich plötzlich. Der erschrockene Mann verfolgte die Flugbahn eines kleinen Freundes.Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der kleine Raubvogel hatte sich auf die linke Schulter eines Kuttenträgers gesetzt und fing an, an der Kapuze zu knabbern.

„Was, bei allen Göttern, ist das denn!“ Wild um sich fuchtelnd versuchte der Ordensbruder den unliebsamen Eindringling wegzujagen.

„Schwarzauge! Komm sofort her und lass den alten Mann in Ruhe.“Als ob der Wanderfalke die Order verstanden hätte, ließ er von dem Bruder ab und kam wieder zu Kematu zurück. Dabei erinnerte er sich an die Worte des Drachen.

„Deinen Vater wirst Du bald sehen! Dein kleiner Freund wird ihn Dir offenbaren!“

„Wer seid Ihr! Ihr habt hier keinen Zutritt! Nur Auserwählten ist es gestattet, dieses Kloster zu betreten! Und vor allem nicht mit lästigen Federvieh!“ Arngeir war sichtlich empört, ob des unerlaubten Eindringens in sein Heiligtum.

„Entschuldigt mein plötzliches und unaufgefordertes Eintreten! Mir war nicht bekannt, dass das nicht erwünscht sei! Mein Name ist Kematu, und bin der Begleiter von Samara Rhano!

„Und ich bin Arngeir, Meister und Sprecher der Graubärte, die dieses Kloster bewohnen!

Das Ihr der Begleiter meiner neuen Schülerin seid gibt Euch noch lange nicht das Recht, ohne Erlaubnis diese Mauern zu betreten!“ stellt sich ebenfalls mit mürrischen Unterton der Ordensbruder vor.

„Also was ist der Grund Eures Besuchs!“

Kematu sah etwas verlegen drein.

„Es wird sich vielleicht etwas eigenartig anhören!…Aber ein Drache namens Mirmulnir hat mir offenbart, dass ich hier im Inneren des Klosters jemand Bestimmten finden würde Meinen Vater!“

Arngeir ging nun näher an den Mann heran.„Wie kommt Ihr zu der Annahme, dass euer Vater hier sein sollte!? Wisst ihr nicht von unserer Enthaltsamkeit!? Dass keiner unserer Brüder eine Familie besitzt? Wir uns nur unserem Studien hingeben!?“

Kematu wurde die Angelegenheit nun peinlich. „Ich kann Euch verstehen, mir geht es genauso! Mein ganzes Leben habe ich nach meiner wahren Herkunft, nach meinen wahren Eltern gesucht. Und dann, von einem Augenblick zum anderen, sollte meine Suche beendet sein? Plötzlich erfahre ich vor nicht mal einer Stunde, dass eine Frau namens Anise meine Mutter wäre. Dass ich hier im Kloster auch noch meinen Vater finden würde! Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, wie mir zu Mute ist! Ich brauche Gewissheit, das ist der Grund meines Hierseins!“

Der alte Mann hatte leichte Probleme, stehen zu bleiben. Ein Name ließ ihm die Knie weich werden. Bevor er zusammensackte, half ihm Kematu wieder einen einigermaßen festen Standpunkt einzunehmen.

„Ich muss mich setzen!“ mit taumelnden Schritten ging Arngeir zur Treppe und setzte sich hin.

„Was ist mit Euch!“ Kematu konnte den plötzlichen Schwächeanfall nicht verstehen.


„Anise!...

Oh mein Gott! Fast 41 Jahre ist es her, als ich sie zum letzten Mal sah. Ich war noch in der Ausbildung. Noch nicht so vertraut mit Leben eines Ordensbruders. Sie war meine erste und einzige Liebe! Anise war eine wunderschöne Frau. Doch plötzlich war sie weg. Niemand wusste wohin. Ich dachte Sie wäre tot! Ja wir haben uns sehr geliebt, aber sie wusste auch von meiner Berufung. Dass unsere Liebe geheim bleiben musste. Nun erfahre ich von Euch, dass sie noch lebt! Das kann ich alles nicht glauben. Ich wusste ja nicht einmal, dass Anise schwanger war. Das hatte sie mir nie gesagt.

Seid Ihr Euch sicher? Aber, aber wenn selbst ein mir sehr bekannter Drache Euch das offenbart hat. Dann haben durch ihn die Götter gesprochen. Dann ist es so! Dann muss es die Wahrheit sein!“ Arngeir war sichtlich verwirrt.

Auch Kematu konnte nicht mehr stehen. Er setzte sich neben dem alten Mann hin, ohne seine Blicke von ihm zu lassen.

„Dann seid Ihr also doch...“

„Euer Vater!“ beendete der Ordensbruder die Frage des Kriegers. Es muss so sein! Auch wenn ich es noch nicht glauben kann. Warum hat Anise mir davon nie etwas gesagt?

Wieso hat sie es verheimlicht? War es nur wegen meiner Berufung, meiner Ausbildung?

Hätte ich das gewusst, wäre ich mit Anise gegangen. Ich hätte Sie nie allein gelassen mit meinem Kind!“

„Nun wisst Ihr, wie es mir geht! Sie war fünf Wochen lang in meiner Nähe, als Samara sich von ihrem Koma erholte. Kein Wort hatte sie gesagt! Keine Andeutungen gemacht!

Auch ich verstehe es nicht. Nur Samara hat es meine Mutter erzählt. Unter der Bedingung, dass es ein Geheimnis bleibt. Ich weiß selber nicht, was ich von allem halten soll!“

Kematu erzählte nun, wie er gefunden wurde, wo er dann aufwuchs und was dann in den letzten 40 Jahren noch so alles Wichtige passiert ist. Wie er Samara kennenlernte und welchen Grund er nun hatte sie zu begleiten. Sein Vater hörte aufmerksam zu.

Als der Sohn mit seiner Erzählung fertig war, fielen sich beide Männer in die Arme.

Beide weinen zusammen, leise und befreit.

 

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