DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 4 - Der Tod spielt nicht -


- IX -

 

Man konnte Windhelm schon von Weitem sehen. Der Einspänner hielt an und der Mann auf dem Bock blickte nachdenklich um sich. Urplötzlich verschwand die Morgensonne und das Wetter veränderte sich schlagartig. Es fing an zu schneien und mit jeder Minute nahm die Intensität des Schneefalls zu. Es war mittlerweile zwei Stunden vor der Zeit, wo die Sonne, wenn ihr Strahlen jetzt sichtbar wäre, den höchsten Punkt des Tages erreichen würde.

Cicero befand sich beim Halt mitten auf der Straße. Aber bis dato war er der einzige Reisende, der diese Straße benutzte. Dieser Umstand gefiel ihm sehr, aber es wurde Zeit, sein weiteres Vorgehen zu planen, denn so konnte er sich nicht in Windhelm blicken lassen. Er hatte schon erfahren, dass sein äußerst eigenartiges Erscheinungsbild schon für einiges an Aufsehen gesorgt haben musste, sodass es schon hier und da, auch wenn es nur hinter vorgehaltener Hand geschah, erwähnt wurde. Aber die Ohren der Bruderschaft waren überall. Eigentlich machte sich der Killer nichts daraus, sollten sie doch ruhig über ihn reden, doch andererseits schob er die Warnung seiner Brüder und Schwerstern nicht so einfach von sich. Denn das widersprach seinem Wesen, wenn er unterwegs war.

Somit wollte er dies beim nächsten Auftrag nicht riskieren. Also schaute er sich um, um ein entsprechendes Versteck zu finden, wo Cicero seinen Wagen verstecken konnte und andererseits, um sein Äußeres zu tarnen. Er hätte auch seine Mutter zu Hilfe nehmen können, um sich unsichtbar zu machen, aber dieser Schneefall, der wohl noch einige Stunden anhalten würde, machte ihm dabei einen Strich durch die Rechnung. Unsichtbarkeit half ihn dabei überhaupt nicht. Der Niederschlag würde ihn trotzdem verraten, da er sich auf den Umrissen seiner Person logischerweise ablegen würde. Also kam Magie nicht in Frage. Aber der Killer war clever genug, um auch so unbemerkt in einer Stadt am hellichten Tag, sein Unwesen zu treiben. Wäre nicht das erste Mal gewesen.

Dabei dachte er vergnügt daran, wie er den Vogt in der Drachenfeste tötete. Keiner hatte etwas bemerkt, glaubte er zumindest. Zu schnell führte seine Hand den Mord aus. Zu schnell war er aus der Sicht der Augen verschwunden, die ihn dabei vielleicht beobachten hätten können. Er grinste in sich hinein, als er daran denken musste. Also was sollte schon passieren, der Auftrag war klar und deutlich. Nur würde er diesmal warten, bis seine Ziele die Stadt verlassen würden, sollte etwas geschehen, wo es unabdingbar wurde, die Probleme zu beseitigen. Dieser Gedanke gefiel ihm sehr. Innerlich hoffte er, das der junge Kaiserliche und seine Freunde etwas tun würden, welches ihren Tod bedeutete. Nein, Cicero wünschte sich dies sogar sehr, denn er mochte Aufträge, die letztendlich seine unbändige Mordlust befriedigen konnten. Das alleine spiegelte sein Dasein wider, er war der ergebene Diener des Todes und bis jetzt hatte er seinen Meister noch nie enttäuscht.

Während er sich seinen Gedanken hingab, sah er von der Straße aus durch das dichte Schneegestöber eine Höhle, versteckt auf einer verschneiten Lichtung, die groß genug war, wo er den Wagen verstecken konnte. Schnell sprang er vom Bock und führte das Pferd am Zügel dorthin. Vor der Eingang holte er das Pferd aus dem Einspänner und legte den Sattel auf. Danach schob er den Wagen in die Höhle hinein. Aus der Kiste, die sich unter dem Bocksitz befand, holte er einen dicken schwarzen Kapuzenmantel heraus, den er sich sorgfältig anlegte. Der Mantel reichte bis zum Boden und verdeckte somit sein ursprüngliches Aussehen. Dabei verstaute er die Narrenhaube, die er jetzt nicht gebrauchen konnte. Unter dem Mantel verbarg er auch seine Messer. Nur den Bogen und den Pfeilköcher schnallte er auf seinen Rücken, dann zog er die Kapuze über den Kopf. Jetzt sah er wie ein gewöhnlicher Jäger aus. Schnell waren einige lange Äste eingesammelt, mit denen er den Eingang verdeckte und somit das Versteck tarnte. Ein paar Schneehasen, die in seiner Nähe herumhüpften, waren schnelle Beute seines Bogens. Die toten Tiere befestigte er am Gürtel des Mantels; sie waren somit das I-Tüpfelchen seiner Tarnung. Er begutachtete noch einmal den Eingangsbereich und war zufrieden. Cicero machte sich dabei keinerlei Gedanken ob der Spuren im Schnee. Die würden bald bei diesem Schneefall von selbst verschwunden sein. Er stieg auf sein Pferd und ritt nun gen Windhelm. Er würde keine Stunde brauchen, um in der Stadt zu sein.


- X -

 

„Wo sind die Leichen meiner Agenten? Wer hat das getan? Ich erwarte umgehend, dass man sich auf die Suche nach den Schuldigen macht, Herr General Tullius! Sonst...“

Mit der Faust, die auf den Tisch krachte, unterbrach der General die gespielte Unwissenheit und aufgeplusterte Entrüstung seines Gegenübers.

„Erspart mir eure unbegründeten Drohungen, Estale!“

Die Augen des Thalmors wurden schmaler. Der Hochelf nahm unaufgefordert am Arbeitstisch des Befehlshaber Platz und spielte weiter den Eingeschnappten. Tullius nahm zwar die Unverfrorenheit zur Kenntnis, war aber nicht gewillt, bei dem Spiel mitzumachen.

„Erklärt mir lieber, Estale, was Eure Agenten mit dem Wirt und der Bardin zu schaffen hatten. Das verstehe ich irgendwie nicht, weil es Bewohner dieser Stadt sind, die eigentlich einen redlichen Leumund besitzen. Warum man diese zwei dann foltern musste, sodass meine Heilkundigen bei einem von den beiden, und zwar den Besitzer der hiesigen Taverne, ihre liebe Not damit haben, ihn überhaupt am Leben zu erhalten. Was haben diese Menschen getan, dass man sie ohne meines Wissens nachts aufsucht und ohne sichtbaren Grund fast umbringt? Und erzählt mir jetzt nicht, Ihr hättet keine Ahnung davon, was Eure Männer in ihrer Freizeit treiben. Denn das nehme ich Euch nicht ab, Herr Botschafter!“

...

„Und erklärt dem General ebenfalls, warum man den Erzmagier Savos Aren ermorden ließ und warum nun ein Thalmor das Kommando über die Akademie der Magier von Winterfeste hat. Oder ist das auch ohne Eures Wissens geschehen?“

Estale sprang wütend und trotzdem überrascht auf, als Legat Rikke aus dem Inneren der Kaserne heraufkam und sich an die Wand des Eingangsbereichs lehnte. Auch der General sah sichtlich geschockt drein und wollte einfach nicht glauben, was ihm gerade zu Ohren kam. Estale befand sich nun in einer äußerst prekären Zwickmühle und hatte es schwer, da wieder heraus zukommen, allzu überraschend war er damit konfrontiert worden. In ihm überschlugen sich die Ausreden, die er aussprechen wollte, aber es kamen keine über seine Lippen.

„Woher... das geht Euch... ich verbiete mir... bei Auri-El,... das geht Euch überhaupt nichts an, es sind Interessen der Thalmor, die diese Aktionen notwendig machten!“

„Also widersprecht Ihr nicht, dass Ihr davon gewusst habt und einfach über uns hinweg eigenmächtig Handlungen befürwortet habt, in der man sogar vor Mord nicht zurückschreckte? Vielleicht steckt Ihr auch hinter den ganzen Attentaten, die in ganz Himmelsrand verübt wurden, um es den Sturmmänteln in die Schuhe zu schieben…“

Dabei kam die Legatin entschlossen und wutentbrannt dem Botschafter näher.

„Wie ich schon sagte, das geht Euch, Hure des Generals, überhaupt nichts an! Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten und steckt Eure Nase nicht in Dinge, die Euch überhaupt nicht interessieren sollten, wenn Euch Euer eigenes Leben lieb ist!“

„Soll das etwa eine Drohung sein, verfluchter Dreckskerl? Dann können wir das gleich hier und jetzt klären! Und glaubt mir, das wollte ich schon seit Langem tun!“

Dabei griff die Frau zum Schwert, bereit es dem Thalmor in sein verlogenes Herz zu jagen.

„Nicht, Legatin! Das ist es nicht wert!“, rief der General beschwichtigend.

„Und Ihr, Botschafter Estale, werdet hiermit verhaftet. Prätorianer!“

Aus drei Seitentüren kamen jeweils zwei schwerbewaffnete Leibwächter und nahmen den vollkommen überraschten Thalmor in ihre Mitte.

„Schmeißt diesen Abschaum in das tiefste Loch! Sofort!“

„Das wagt Ihr nicht, Tullius! Ich bin ein Repräsentant des Aldmeri-Bundes und genieße diplomatische Immunität!“

„In Euren Mauern vielleicht, aber nicht auf Kaiserlichem Hoheitsgebiet und darin steht Ihr wohl zur Zeit. Und hier ist mir Eure Immunität vollkommen egal. Ihr seid ein Handlanger des Todes und werdet dafür gerichtet, so wahr ich hier stehe. Schafft ihn mir aus den Augen!“

„Fasst mich nicht an, dämliches Pack!...

Und Ihr, verdammte Schlampe, werdet es bereuen, mich noch einmal bedroht zu haben. Das schwöre ich Euch! Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!... Lasst eure dreckigen Pfoten von mir, was fällt euch ein!... Ich bin ein...“

Kaum hatte er die letzte Beleidigung ausgesprochen, traf ihn schon ein immenser Faustschlag der rechten Hand des Generals im Gesicht. Die Leibwache trat dabei geistesgegenwärtig schnell beiseite und Estale prallte ungebremst und hart gegen die eherne Wand des Arbeitszimmers. Blut schoss aus seiner Nase, als man ihn danach lachend abführte.

 

Der General fiel schwer in den breiten Stuhl des Arbeitstisches, in der gerade noch vorhin der Thalmor gesessen hatte.

„Ich glaube es einfach nicht! Was ist hier los? Warum konnte das unbemerkt von mir geschehen? Und woher wisst Ihr das alles, meine Liebe? Hatte das etwa mit Eurer Abwesenheit zu tun? Und bitte keine weiteren Ausreden mehr, das war genug für heute!“

Die Frau ging zu ihm und legte ihre Hand auf seine rechte Schulter.

„Ja... Liebster... Ich hatte ein Treffen mit der rechten Hand von Ulfric Sturmmantel, Galmar Stein-Faust. Er brachte mir den Standpunkt seines Oberbefehlshabers nahe, dass er nichts mit den Morden zu tun hatte. Wir vermuteten erst einmal nur, dass die Thalmor, bei allem was geschehen ist, involviert sind. Und der Mord an dem Erzmagier der Akademie bekräftigte unsere Ahnungen. Und von ihm bekam ich auch diese schreckliche Nachricht. Es sind nicht die Nord, Tullius! Sie waren es nie gewesen! Das war nur ein Vorwand, um den Bürgerkrieg zu forcieren. Man hat dich und den Kaiser nur benutzt, um hier in Himmelsrand Krieg zu führen, im Interesse der Thalmor. So wie ich mich mit Galmar traf, musst du dich jetzt unbedingt mit Ulfric aussprechen. Das muss ein Ende haben, der Krieg, die Verschwörung, das ganze Morden, das ganze Marionettenspiel.“

„Dann hatte mein Sohn somit auch die ganze Zeit mit allem recht! Das der Mord an unserem Kaiser auch von den Thalmor befohlen wurde?“

Tullius blickte dabei seine Legatin traurig an.

„Und ich wollte es nicht glauben, nicht einmal meinem eigenen Sohn. Auch wenn ich ihm innerlich glauben wollte, als Vater. Aber auch da habe ich wohl versagt...“

„Das hast du nicht, mein Liebster, aber es wurde Zeit, dass man dir die Augen für das Offensichtliche öffnet.“

„Das wurde schon fast von Vittoria erledigt..:“

„Wie? Die Geliebte deines Sohnes? Was hat sie denn...“

„Sie ist eine „Klinge“... Eine Agentin unseres neuen Kaisers!“

Rikke schaute ungläubig auf Tullius herab. „Na, wenn das keine Überraschung ist!“

„Frag mich mal!“ erwiderte der General.


- XI -

 

Keine Stunde hatte der Mann gebraucht, die Stadt innerhalb der Mauern kennenzulernen und dabei prägte er sich Örtlichkeiten ein, die im Laufe seines Aufenthaltes noch von Nutzen sein könnten. Außerdem schnappte er dieses oder jenes auf, welches großes Interesse in ihm weckte. In letzter Zeit war hier wohl viel los. Ein Mord an einer Frau, das Auftauchen fremder Männer und zu allerletzt hörte er Gerüchte, dass man einen Thalmor-Agenten enttarnte und dieser nun im Kerker schmachtete. Diese Gerüchte nahmen Gestalt an, als er im „Kerzenschein“ scheinbar seinen Jagdpartner aus Flusswald suchte und die Wirtin ihm sagte, dass er zwanzig Minuten zu spät gekommen sei. Sein Freund wäre mit den anderen beiden Männern in den Palast der Könige gegangen, um eine Befragung durchzuführen.

„Es geht dabei um einen Hochelfen, einen Thalmor, der sich in den Hof des Königs eingeschlichen haben soll und dabei enttarnt wurde!“, sagte die Wirtin leise zu dem angeblichen Freund von Faendal.

„Seid Ihr da sicher, werte Dame?“

„Die drei Herren haben immer die Angewohnheit laut über ihre Angelegenheiten zu sprechen, da ist es nicht schwer, Einiges aufzuschnappen.“

„Und was wäre das so, meine Schöne?“

Seinen Schmeicheleien konnte sich die Schankfrau nicht entziehen und somit erfuhr er, was diese Männer in den vergangenen Stunden so getrieben und erlebt hatten. Einige Dinge verfinsterten sein inneres Gemüt, als er erfuhr, dass man den Kult von Boethiah vernichtet hatte und dabei Geheimnisse gelüftet wurden, die auch seine Bruderschaft betrafen. Er hatte mehr als genug erfahren und ließ die Wirtin mit einem Vorwand einfach stehen; dann verließ er schnell die Taverne.

 

Er musste unauffällig in den Palast kommen, musste unbedingt selbst heraus finden, was diese Männer noch so in Erfahrung bringen würden. Doch so wie er jetzt aussah, würde man ihn nicht so ohne Weiteres in den Palast der Könige lassen. Fremden gegenüber schlug nach den letzten Vorfällen Misstrauen entgegen und sie wurden genau beobachtet. Das wollte er vermeiden, deshalb brauchte er eine neue Verkleidung. Dabei kam er am Friedhof vorbei und sah einen Sturmmantel vor einem Grab beten. Ein willkommenes Opfer am passenden Platz, dachte sich Cicero.

„Mein Herr! Könnten sie mir vielleicht helfen? Als ich hier in der Nähe an einem verlassenen Haus vorbei kam, hörte ich seltsame Geräusche daraus. Das kam mir unheimlich und verdächtig vor.“

Dabei zeigte er in Richtung Hjerim, wie dieses Haus auch genannt wurde. Als das der Veteran Angrenor Einst-Geehrter hörte, legten sich tiefe Falten auf seine Stirn.

„Ich bin schon lange nicht mehr im Dienst, junger Mann. Sucht Euch doch eine Wache, die sind hier immer unterwegs. Aber andererseits, hm! Das Haus, von dem Ihr sprecht, war Schauplatz mehrerer blutiger Greueltaten. Na gut, lasst uns da nachschauen und Ihr seht ja aus, als ob Ihr euch gut verteidigen könntet, sollte sich da jemand unerlaubt eingenistet haben oder jemand dringend unsere Hilfe benötigen sollte.“

Noch etwas unentschlossen ging der ehemalige Soldat vor.

„Und ob ich mich erwehren kann“, erwiderte der falsche Jäger und folgte dem alten Mann.

...

„Habt Ihr Euch etwa verhört, Jägersmann? Also hier ist niemand, der unsere Hilfe benötigt oder jemand, der hier sein Unwesen treibt. Also ich mag solche Scherze gar nicht!“

Seine letzten Worte gingen in ein Röcheln über, als urplötzlich ein Strick um seinen Hals geschwungen und blitzschnell zugezogen wurde. Sekunden wehrte sich der greise Körper, dann fiel er in sich zusammen.

„Ich auch nicht“, meinte der Killer leise zum Toten vor ihm, als er den Strick wieder verstaute. Schnell zog er dem Veteran seine Rüstung aus und legte diese selbst an. Auch den Bärenhelm vergaß er nicht. So war das Gesicht des Assassinen kaum zu sehen. Er versteckte die Leiche noch in einem Schrank und legte seine alte Verkleidung dazu.

Die Sturmmantel-Rüstung war unbequem und eng, aber das nahm der Mann in Kauf. Schnell und unauffällig verließ der Killer den Ort und ging zum Palast. Ohne ihn aufzuhalten, ließen die Wachen ihn durch. Somit war er problemlos in der Höhle des Löwen. Ein Soldat stand an der Tafel und nahm etwas zu sich.

„Wo finde ich den Kommandanten, Kamerad?“

Ohne sich umzudrehen, zeigte der Angesprochene mit der freien Hand zur rechten Seite.

„Immer die Treppe runter bis zum Kerker, Mann!“, erwiderte er mit vollem Mund. Doch das hörte Cicero schon nicht mehr.


- XII -

 

„Der Argonier muss irgendetwas gesehen und Corpulus davon erzählt haben, was die Thalmor aufschreckt hat. Der Wirt war wohl auch anwesend, als der Gast einen Brief an seinen Freund in Rifton schrieb. Nur das wissen die Hochelfen nicht, denn das hat Corpulus den Agenten nicht verraten“, erstattete Vittoria Vicci dem Befehlshaber der Kaiserlichen Armee ihren ersten Bericht, bei dem auch Legat Rikke anwesend war.

„Wir müssen an diesen Brief kommen, werte Agentin! Das würde vielleicht etwas Licht in die Dunkelheit bringen, die uns umgibt“, meinte Tullius nachdenklich.

„Aber ich glaube kaum, dass unser Gefangener, Botschafter Estale, uns den Gefallen tun wird, um uns als Lichtbringer behilflich zu sein“, erwiderte die Legatin.

„Was?...“

Vittoria wurde hellhörig, als sie erfuhr, dass man Estale verhaftet hatte. Sie schüttelte den Kopf und sah den General vorwurfsvoll an.

„Das hätte ich vielleicht auch gemacht an Eurer Stelle, es war aber absolut unklug, General Tullius! Die Folgen wären undenkbar und würden unsere Vorhaben in Gefahr bringen, noch bevor wir damit überhaupt begonnen haben! Ihr müsst Estale sofort freilassen!“

„Warum das denn, werte Vittoria? Er hat es doch selbst gestanden!“, erwiderte verärgert der Befehlshaber und schaute sie dabei verblüfft an.

„Auch wenn es nur gerecht wäre, diesem Hurensohn den Kopf abzuschlagen, können wir uns jetzt noch nicht mit den Thalmor anlegen. Sie werden es sich nicht gefallen lassen, dass einer ihrer Würdenträger im Kerker schmachtet und würden alles für seine Befreiung unternehmen; und Ihr könntet nichts dagegen tun.“

„Ihr glaubt wirklich, sie würden uns angreifen? Hier in Einsamkeit? Das wäre doch tollkühn seitens ihrer Botschaft. Die hätten doch keine Chance gegen uns!“

„Die nicht! Dafür wären sie eindeutig zu wenig. Aber die 5000 Mann im Geistermeer, die unter dem Befehl von Erzmagier Hercarilar stehen und dort abwarten, reichen mit Sicherheit aus, das Kaiserliche Hauptquartier dem Erdboden gleichzumachen.“

Die Augen des Generals wurden größer und größer. Auch Legat Rikke schaute die Frau ungläubig an und schüttelte den Kopf.

„Mein General! Auch wenn ich selbst gerne die wäre, die das Henkersbeil führen würde, um dieser Schlange den Kopf vom Körper zu trennen... aber Vittoria hat recht! Wir waren zu voreilig. Haben uns von unseren Gefühlen und unserem Rechtssinn leiten lassen, ohne uns dabei mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen.“

„5000 Mann? Erzmagier Hercarilar? Was macht denn der hier wieder in Einsamkeit? Ich habe ihn zuletzt auf Hoch Hrothgar gesehen, als er mich dorthin begleitet hat. Aber seit dem Ausschluss von den Verhandlungen habe ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen. Ich weiß, dass er Ulfric Sturmmantel abgrundtief hasst und seit diesem Tag bestimmt noch mehr. Was will er mit diesem Heer anstellen? Was hat er vor? Die Akademie von Winterfeste als Basis und eine riesigen Armee im Rücken seines Erzfeindes. Klug ausgetüftelt, alter Stratege! Das muss es sein! In ihm hat wohl endgültig der Haß die Oberhand gewonnen. Ihr beide habt recht! Ich muss wohl oder übel sein Spiel erst einmal mitmachen, auch wenn es mir vollkommen widerstrebt.

Na gut! Und was dann? Wie geht es dann weiter? Auch wenn wir Estale jetzt freilassen, heißt es noch lange nicht, dass er uns in Ruhe lässt. Das mit Sicherheit nicht...“

Erst jetzt wurde ihm sein voreiliger Fehler bewusst. Dies entging auch der Agentin des Kaisers nicht, aber was sie jetzt aussprach, war ein kleiner Hoffnungsschimmer, enthielt aber auch eine Aufgabe und Tatsache, die weit schwerer zu realisieren war.

„Wir brauchen Zeit, Herr General, um unsere Ressourcen zu formieren und zu vereinigen. 2000 Klingen sind in Himmelsrand, aber überall verteilt. Dann Eure Legionen und vor allem brauchen wir ein Bündnis mit Ulfric Sturmmantel. Ohne ihn haben wir keine Chance gegen die Thalmor, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ja, mit Sicherheit wird Estale etwas unternehmen, um Euch zu bestrafen. Aber so haben wir ihn wenigstens unter Kontrolle und hetzen uns vorerst nicht die gewaltige Schlagkraft seiner Freunde auf den Hals, der wir im Moment nicht gewachsen sind.

Ich weiß, ich verlange viel von Euch und ich kann nicht sagen, wie der Botschafter reagieren wird, wenn er auf freiem Fuß ist. Aber dieses Risiko müssen wir wohl eingehen, auch wenn es uns nicht gefällt!“, beendete die Angentin ihre Ausführungen. General Tullius nickte ihr zustimmend zu. Er sah zu seiner Liebsten, während Rikke sagte: „Ich komme mit Dir zu Estale!“

...

„Werter Botschafter, im Interesse unserer beider Angelegenheiten hier in Himmelsrand lasse ich Euch frei. Bitte verzeiht mir mein voreiliges Handeln. Ich hatte nicht das Recht, mich in Eure Angelegenheiten einzumischen, auch wenn mir Eurer Vorgehen dabei persönlich missfällt. Aber wie auch immer, hoffe ich auf Eure Kooperation zur Klärung der Vorfälle“, sagte General Tullius gespielt unterwürfig, während Legat Rikke die Kerkertür aufschloß.

„Woher der plötzliche Sinneswandel, hm?“

Irgendwie konnte Estale nicht verstehen, wie schnell man ihn plötzlich wieder freiließ. Andererseits hatte er geahnt, dass des Generals Wutausbruch nur von kurzer Dauer sein und er sich wieder daran erinnern würde, was es hieß, sich gegen die Macht der Thalmor zu stellen. Dass er rechtzeitig einsehen würde, dass es ein Fehler war, ihn, den Botschafter des Aldmeri-Bundes, einfach so in den Kerker zu werfen, ohne auf die Folgen zu achten.

„Aber ich sehe, dass Ihr immer noch zu wissen scheint, auf welcher Seite es vorteilhafter ist, zu stehen. Ich verzeihe Euch, auch wenn ich die Behandlung dieser... Frau... nicht vergessen werde. Denn es war nicht das erste Mal. Ich erwarte eine entsprechende Reaktion Eurerseits und eine angemessene Bestrafung. Und natürlich werde ich kooperieren und eigene Untersuchungen einleiten. Die Berichte dazu lasse ich Euch rechtzeitig zu kommen.“

General Tullius führte höchstpersönlich den Botschafter aus dem Kaiserlichen Hauptquartier. Nur seine rechte Hand stand immer noch im Kerkerbereich und starrte innerlich kochend die leere Zelle an.