DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 2 - Der Tod vergibt nicht -


- I -


Es war kurz vor der Morgendämmerung. Faendal und Engar saßen immer noch da und tranken die letzten Reste des hervorragenden Branntweines. Cidius lag wortwörtlich besoffen unter dem Tisch und schlief seinen Rausch aus. Auch Elrindir hatte es sich auf der Theke gemütlich gemacht und schnarchte vor sich hin.


„Dein junger Freund scheint wohl nicht so viel zu vertragen. Er fiel ja um wie ein Brett!“

Engar prostete dem Elf zu und leerte seinen Becher in einem Zug. Aber auch Faendal war anzusehen, dass langsam aber sicher der Alkohol Wirkung zeigte. Im Gegensatz zu seinem nordischen Saufkumpan stellte er den Becher wieder ab. Er hatte genug. Er stand auf, ging zum Fenster, öffnete es und genoß die frische Luft in vollen Zügen.

„Seit wann kennt ihr euch? Ihr seid schon ein seltsames Gespann. Ein Bosmer und ein Kaiserlicher, wirklich eine eigenartige Kombination.“

Engar goß sich einen weiteren Becher ein, stand auf und ging, ohne zu schwanken, ebenfalls zum geöffneten Fenster. Er setzte sich auf die Fensterbank und schaute den Elf von unten an.

Faendal musterte den Nord. Trotz seines Alters war er immer noch von ansehnlicher muskulöser Statur. Gut durchtrainiert, kein Gramm Fett zu viel. Seine äußere Erscheinung zeigte, dass er jeden jungen Mann immer noch in die Tasche stecken konnte. Auch sein aufrichtiges und entschlossenes Wesen war zu erkennen. Seine Augen spiegelten immer noch jugendlichen Kampfgeist, große Weisheit und eine lange Lebenserfahrung als Krieger wider. Nur seine grauen Haare, der gleichfarbig gepflegte Bart und manch zu sehende Narbe zeigten ihm, dass auch an dem Kommandanten das Leben nicht spurlos vorbeigegangen war und das Alter nun langsam seinen Tribut einforderte.


„Seit fast elf Jahren sind wir gemeinsam unterwegs. Unser erstes Zusammentreffen war mehr ein Zufall als gewollt. Ich war von Thalmor umringt, die mich gefangennehmen wollten. Ihr müsst wissen, dass wir Bosmer uns den strengen Traditionen der Altmerischen Hochkultur verweigern. Wir ziehen demgegenüber ein simples Leben in Harmonie mit der Natur und ihren Kreaturen vor. Allerdings haben die Thalmor etwas dagegen; sie wollen alle Elfen, nicht nur die, die in Himmelsrand leben, unter ihren Stiefeln wissen. Und wer sich dem entzieht, wird gnadenlos gejagt.

Dann hat man nur noch zwei Alternativen: den Tod oder man beugt sich deren Willen. Ich wollte mich keiner Alternative stellen. Hatte vor, für meine liebgewonnene Freiheit zu kämpfen und wenn es sein musste, auch dafür zu sterben.

Cidius, der plötzlich auftauchte, überlegte nicht lange. Auch wenn er einem Mörder nachjagte, konnte er nicht zusehen, wie vier Langmäntel sich auf einen Mann stürzten. Irgendetwas in meinen Augen sagten ihm, das ich Hilfe brauchte. Ohne zu zögern sprang er vom Pferd und tötete mit einer Armbrust einen Angreifer. Der Kampf dauerte nicht lange. Während er mir half, die Leichen zu beseitigen und zu verstecken, erfuhr ich, dass er wusste, was die Thalmor hier in Himmelsrand trieben. Schon oft hatte er solche Verfolgungen und Kämpfe zwischen Thalmor und anderen Elfen miterlebt. Wie dabei diese Altmer rücksichtslos vorgehen, nur um ihren Willen zu bekommen. Er hatte daher schon lange eine starke innere Abneigung gegen die Altmer.

Ob es nun der Dank für meine Freiheit war oder dass mich irgendetwas dazu trieb, ihm zu folgen... ich half ihm dabei, den Mörder zu jagen und zur Strecke zu bringen, den er gerade verfolgte. Seitdem sind wir zusammen und seitdem jagen wir gemeinsam Verbrecher.“


Wieder nahm Faendal einen langen Zug von der frischen Luft in sich auf.

„Ich bin angenehm überrascht. Das habe ich nicht von einem Kaiserlichen erwartet. Vorallem, da ja die Thalmor und seinesgleichen eine feste Bindung, eine Partnerschaft haben.“

„Er ist da vollkommen anders. Sieht die Welt mit anderen Augen. Lässt sich nicht von seinem Vater um den Finger wickeln. Blickt hinter die Kulissen, hinter die Masken und macht sich sein eigenes Bild darüber. Auch wenn er noch jung erscheint und sein jugendlicher Leichtsinn uns manchmal in Gefahr brachte, aber seine Betrachtungsweise, das Verbinden und Verstehen von Zusammenhängen zeugen von hoher Intelligenz. Wir haben einander in den letzten Jahren oft gegenseitig das Leben gerettet. Einen besseren Freund und Partner hatte ich bis jetzt noch nie. Und er sieht es genauso.“

„Diesen Eindruck hatte ich auch, als ich ihn zum ersten Mal sah. Der Junge gefällt mir! Na dann lass uns Euren Freund ins Bett tragen! Auch wir sollten uns ein paar Stunden hinhauen, wir haben einiges vor uns. Da sollten wir ausgeruht und nüchtern sein.“

Gesagt, getan. Faendal und Engar trugen gemeinsam Cidius in sein Bett und kurze Zeit später begaben sie sich ebenfalls in ihre Zimmer. Engar nahm aber noch die letzte Flasche des guten Gesöffs mit.


- II -


Cidius wachte mit dröhnendem Schädel auf. Während er verwirrt um sich blickte und sich fragte, wie er in sein Bett kam, stand er auf. Da der junge Mann dies aber zu schnell tat, wurde ihm schwindlig; er setzte sich wieder und legte den Kopf in seine Hände. Mit geschlossenen Augen versuchte er, das Gefühl loszuwerden, dass sich alles um ihn drehte, als es endlich verschwand, erhob er sich erneut - diesmal jedoch langsamer. Sein Kopf fühlte sich schwer und übergroß an, auch in seiner Kehle brannte es. Der junge Mann dachte sich, dass er jetzt eine kalte Hilfe bräuchte. Er trat langsam und immer noch leicht schwankend zur Tür, öffnete diese und wollte durchgehen. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, das sein Kopf nicht durch diese Tür passte. Also durchschritt er seitlich gehend die breite Tür, wo eigentlich zwei Männer ohne Probleme gleichzeitig durchgehen könnten. Elrindir räumte gerade den Gastraum auf, als er Cidius sah, wie dieser aus dem Zimmer kam, konnte er ein herzhaftes Lachen nicht unterdrücken.

„Ja Ja! Saufen wie die Großen, aber vertragen wie die Kleinen! Du siehst echt beschissen aus, Cidius!“

Der Wirt stand kurz vor einem Lachkrampf und Tränen liefen über sein Gesicht.

„Kein Wort! Und ja, wer den Schaden hat, braucht für Spott nicht zu sorgen…“

Nur diese Worte sagend ging der Mann an dem lachenden Elrindir vorbei und verließ das Lokal.


Die frische Luft und der leichte Nieselregen taten Cidius gut, aber das reichte ihm noch nicht. Er ging rechts um die Ecke und sah das übervolle Regenfass - seine Lieblingsabkühlung wartete nur auf ihn. Ohne lange zu überlegen steckte er den Kopf tief in des kalte Element. Er verharrte minutenlang in dieser Position, bis der zunehmende Luftmangel ihn zwang, wieder aufzutauchen. Er wartete eine Weile, bis seine Lungen wieder bereit waren, dann ging es wieder abwärts. Diese Prozedur wiederholte er noch einmal, danach, tief nach Luft holend, lehnte Cidius seinen Rücken an die Wand der Taverne. Dieses Ritual holte seine grauen Zellen zurück und auch die Kopfschmerzen waren von der Schocktherapie zumindest eingedämmt. Nur noch leichtes Hämmern ließ ihn spüren, das sie immer noch da waren. Cidius versuchte, sich an die letzten Stunden zu erinnern. Die Bekanntschaft mit Engar war für ihn eine sehr angenehme Überraschung gewesen. Das hatte er von einem eingefleischten alten Nord nicht erwartet. Ihm war dieser Schrank von einem Krieger vom ersten Eindruck her sehr sympathisch. Vor allem seine Art und Weise, wie er über die ganze Angelegenheit sprach, zeugte von guter Kenntnis der Situation, Menschenkenntnis, Loyalität und klarem Verstand. Engar versuchte nicht, die Position der Sturmmäntel mit übertriebener Redegewandtheit in ein besseres Licht zu rücken. Auch schloss er eine Beteiligung des Oberkommandos nicht aus. Aber der alte Mann beteuerte mit klaren Worten, dass er daran nicht glaubte. Was hätten denn die Sturmmäntel davon? Nichts. Der Krieg würde sich noch mehr verschärfen, das jetzt schon kaum zu ertragene Leid unter der nordischen Bevölkerung würde sich verschlimmern. Würde die Glaubwürdigkeit der Notwendigkeit dieses Krieges in Frage stellen. Man wünschte sich die Freiheit von Himmelsrand und dass dieses Land rechtmäßig den Nord gehörte. Aber man würde nie diese Sehnsucht nach Freiheit, mit Mord und Totschlag in Gefahr bringen. Es war nicht die Natur dieses Volkes, den kaiserlichen Eroberern noch weitere Gründe zu geben, damit dieser Bürgerkrieg eskalierte.


Vor allem ein Satz machte ihn stutzig. Ulfric Sturmmantel und sein Oberkommando erwogen eine friedliche Lösung. Eine friedliche Koexistenz mit dem Kaiserreich. Der Bürgerkrieg verschlang zu viele Ressourcen an Leben und Material. Dazu noch die Drachenkrise, wo viele den Tod fanden, nicht nur auf nordischer Seite. Das Kaiserreich war stets imstande, seine Verluste wegzustecken. Man hatte unbegrenzte Möglichkeiten, noch mehr Soldaten und Kriegsmaterial über die Meere nach Himmelsrand zu holen, wo im Gegensatz zu den Sturmmänteln deren Reihen sich mehr und mehr lichteten. Wenn das so weiterging, hatte Ulfric bald niemanden mehr, der ihn als König anerkennen würde.

Das waren die Worte, die sich in Cidius Gehirn eingebrannt hatten bis zu einem gewissen Moment; ab dann fehlten ihm jegliche Erinnerungen bis zu seinem Erwachen. Die Kälte des Wasser ließ ihn frösteln, er schüttelte sich und machte sich wieder auf den Rückweg in die Taverne. Dabei sah er die junge Schmiedin, die Tochter des ermordeten Vogtes, Adrianne Avenicci. Sie blickte mit traurigem Gesicht zu ihm herüber. Ihre Augen sagten ihm, dass sie jemanden suchte, mit dem sie reden könnte. Wollte.


- III -


Bevor Cidius in die Taverne eintrat, deutete er mit zwei Fingern Adrianne, dass er in ein paar Minuten wieder da sein würde. Mit schnellen Schritten ging er in sein Zimmer, um sich der nassen Kleidung zu entledigen. Elrindir schaute ihm nur schief grinsend hinterher, aber er wunderte sich, als der junge Mann kurze Zeit später frisch umgezogen und wiederum schnell die Spelunke verließ. An der Schmiede angelangt, wies die Meisterin ihn an, ihr zu folgen. Sie gingen in das Haus und Adrianna bat Cidius, sich zu setzen. Er folgte ihrer höflichen Bitte und war begierig zu erfahren, was sie ihm nun erzählen würde.


„Ich weiß, dass Ihr hier seid, um auch den Mord an meinen Vater aufzuklären.“

Sie ging im Verkaufsraum auf und ab, suchend nach Worten, wie und womit sie anfangen sollte.

„Als ich zwei Tage vor dem schrecklichen Ereignis am Stall dabei war, die Pferde neu zu beschlagen, sah ich einen eigenartigen Typen zusammen mit Laura spielen.“

„Einen Typen im Narrenkostüm?“

Cidius war wieder einmal von Faendals Eingebungen überzeugt worden. Noch jemand hatte also diesen Mann gesehen.

„Genau! Zuerst machte ich mir keine Gedanken darüber, vielleicht war dieser Gaukler nur auf der Durchreise. Nur wunderte ich mich, dass er allein war. Menschen der Schauspielerzunft sind in diesen Zeiten nie allein unterwegs. Manche haben sogar eigene Söldner dabei, die sie seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges beschützend begleiten. Gut, vielleicht kann ich mich da irren, aber komisch kam mir das schon vor. Warum vor der Stadt? Er hätte auch in der Stadt seine Künste zeigen können, und hätte dabei noch etwas verdient.“

„Diese Überlegungen hatte mein Partner Faendal auch, auch ihm kam dieses Verhalten suspekt vor.“

Das Interesse von Cidius an diesem Narren stieg zunehmend.

„Wie gesagt, ich könnte mich auch irren. Bis zum Abend bei der Feier, da sah ich ihn wieder, in einer dunklen Ecke wartend, nichts tuend. Aber ich werde diesen irren und gefährlichen Blick nie vergessen. Als der Jarl anfing seine Rede zu halten, schaute ich natürlich zu ihm hin. Und ich sah dann, wie mein Vater tödlich getroffen zusammensank. Einem Gefühl folgend drehte ich mich sofort in die Richtung, wo noch der Narr stand. Aber er war weg und nirgends mehr zu sehen. Ich werde dieses Gefühl nicht mehr los, ich glaube fest daran, das er damit etwas zu tun hat.“

„Könnt Ihr ihn mir beschreiben? Auch wenn es nichts bringen wird, denn ich denke mal, dass er mit einer Maske sein Gesicht verdeckte.“

„Könnte sein… Aber seine Kleidung war von rot-brauner Farbe. Untypisch für einen Narren, die normalerweise verschiedene und lustige Farben tragen. Auch seine Mimik passte nicht zu dem, was er eigentlich darstellen sollte. Irgendwie kalt und mit aufgesetzter hinterhältiger Freundlichkeit. Sein Gesicht war unter keiner Maske versteckt. Zumindest sah es sehr natürlich aus. Auch keine Schminke war zu erkennen. Insgesamt sehr unheimlich, und der irre Anblick ließ mich frösteln. Ich werde diese hellen, stahlblauen Augen nie vergessen.“

„Habt ihr irgendwelche Waffen an ihm gesehen, vielleicht einen markant aussehenden Dolch mit Totenköpfen?“

„Mir hat Farengar den Dolch gezeigt, also weiß ich, wovon Ihr redet. Und nein, bewaffnet sah er nicht aus. Aber das soll nichts heißen, so etwas kann man gut verstecken. Nur frage ich mich immer wieder, warum mein Vater?“ Adrianne fing an zu weinen, Cidius stand auf und nahm sie tröstend in die Arme.

„Weiß noch jemand von Eurem Verdacht?“

„Ich habe es Irileth erzählt, aber sie nahm meine Worte nicht ernst. Gut, es war danach das reinste Chaos. War wohl nicht der richtige Zeitpunkt, mit irgendwelchen Vermutungen anzukommen.“

„In Ordnung. Ihr habt bei mir endgültig das Interesse an diesem eigenartigen Narren geweckt. Mein Partner und ich werden uns diesen Mann mal genauer ansehen, falls er uns über den Weg läuft. Wenn er dieser ominöse Killer sein sollte, wird es ein schweres Unterfangen, denn der Mörder ist sehr gut. Aber auch er macht vielleicht mal einen Fehler und durch Euch haben wir nun eine weitere handfeste Spur, mit der wir was anfangen können. Ich danke Euch sehr für diese Informationen!“

Mit diesen Worten verabschiedete er sich von der jungen Schmiedin. Sie sah erleichtert aus, als Cidius das Kontor verließ, aber die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Irileth kam die Straße heruntergerannt und hielt genau vor ihm an.

„Es gibt ein weiteres Opfer. Jarl Siddgeir aus Falkenring wurde heute Nacht ermordet!“

Cidius sah sie mit großen Augen an, diese unheimliche Nachricht ließ seine Kopfschmerzen wieder beginnen.


- IV -


Am liebsten hätte Cidius erneut seinen Kopf in das Fass gesteckt, schon allein, um diese Nachricht aus dem Gehirn zu spülen. Er schickte Irelith zum Jarl, um ihm ausrichten zu lassen, dass er gleich erscheinen und mit ihm sprechen werde.

Diesmal nickte Irelith zustimmend und ging ohne Worte des Widerspruchs zurück in die Feste. Cidius scheuchte Faendal und Engar kommentarlos aus dem Bett. Zehn Minuten später standen beide in voller Montur vor Cidius, welcher im Gastraum auf sie wartete. Der junge Krieger berichtete ihnen von der neuen Nachricht. Es war ihnen anzusehen, wie niederschmetternd dieses neue Vorkommnis auf sie wirkte. Vor allem bei Engar verzogen sich die Stirnfalten zu einer wahren Hügellandschaft. Die Knöchel an seiner rechten Hand, welche die schwere Kriegsaxt umschloss, traten sichtbar hervor. Er schüttelte nur den Kopf, als ob er das eben Gehörte nicht wahrhaben wollte.

„Die Mammutscheiße nimmt die Ausmaße des Berges von Hoch Horthgar an. Wenn das so weitergeht, dann Gnaden uns Nord die Götter!“

Vielleicht etwas übertrieben, aber Engar konnte die Situation nicht treffender beschreiben. Auch Feandal war sichtlich geschockt.

„Verdammt nochmal! Drei Morde in so kurzer Zeit. Die Drahtzieher und der Killer haben es ziemlich eilig, die Angelegenheit auf die Spitze zu treiben. Uns läuft die Zeit davon. Wenn wir da nicht endlich Fortschritte machen, endet es noch in einem riesigem Massaker!“

Der Bosmer schaute ratlos die anderen an.

„In einem Punkt hattest Du recht, Faendal. Eine weitere Person hat diesen eigenartigen Narren gesehen. Sie ist sich sogar sicher, dass er damit etwas zu tun hat. Wir müssen herausfinden, wer das ist und wer noch dahintersteckt. Windhelm ist unser erster Anlaufpunkt. Dieser eingesperrte Verzauberer muss etwas wissen und wenn ich es aus ihm heraus Prügeln muss. Damit sollten wir beginnen. Aber zuerst zum hiesigen Jarl!“

Cidius überlegte kurz. Erst wollte er Engar nicht zum Oberhaupt dieser Region mitnehmen, denn das würde vielleicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Aber dann verwarf er diesen Gedanken wieder, als er in die Augen des Nord blickte.

„Engar, du kommst ebenfalls mit. Soll Balgruuf ruhig sehen, dass wir Hilfe von den Sturmmänteln haben. Wie Du schon treffend sagtest: die Scheiße ist gewaltig am Dampfen!“

Mit diesen Worten machten sich die drei Gefährten auf, dem Jarl einen Besuch abzustatten.


Bei ihm angelangt, saß Jarl Balgruuf besorgt dreinschauend und nachdenklich in seinem Thronsessel. Als nun die drei vor ihm standen, hob sich langsam sein Haupt. Irileth hatte links neben ihm ihren Platz eingenommen. Als er zu dem Sturmmantel aufschaute, konnte man deutlich seine Überraschung und Freude erkennen.

„Engar! Lange nicht gesehen Bruder! Was machst Du denn hier?“

Der Jarl erhob sich langsam und ging auf den Nord zu. Beide Männer umarmten einander herzlich.

„Bruder? Was geht denn hier vor sich?“

Cidius schaute abwechselnd zu Faendal und den zwei Brüdern.

„So ist es Cidius. Jarl Balgruuf der Ältere ist mein Bruder! Und ich bin Engar Balgruuf“, begann der Kommandant mit seiner Erklärung.

„Es ist lange her, und dass wir uns unter diesen Umständen wiedersehen, ist einerseits Freude, aber andererseits auch sehr bedrückend. Seit sich mein Bruder unter die Flagge der Kaiserlichen stellte, trennten sich unsere Wege. Und das war noch vor dem Bürgerkrieg. Ich ging nach Windhelm, um an der Seite meiner Landsleute zu sein. Dass Ulfric Sturmmantel zurückkam, nachdem er Großkönig Torygg umgebracht haben soll, gefiel mir gar nicht. Dass er somit nach altem Brauch der Nord den Anspruch auf den Thron hatte, ebensowenig. Ob er nun den alten König umbrachte oder nicht, aber damit brach der Bürgerkrieg aus. Einerseits verstehe ich ihn, er kämpft für Himmelsrand und dass dieses Land nicht länger Teil eines zerfallenen Reiches sein sollte. Aber andererseits missfiel mir sein bisheriges unerbittliches und hartes Vorgehen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Nun ist aber ein Wandel zu erkennen. Ihn bedrückt es mehr und mehr, dass sich durch sein Handeln die eigenen Reihen lichten. Dass das Leid unter seinem Volk stetig wächst… er wird langsam des Krieges müde. Und nun diese Vorkommnisse! Das Kaiserreich wird nun noch mehr daran interessiert sein, die Schlinge um die Nord fester zuzuziehen, und uns in die Enge zu treiben. Nach dem jetzigen Stand der Dinge ist eine Verschärfung des Bürgerkrieges nur noch eine Frage der Zeit.“

Engar schaute verlegen auf den Boden.

„Bißchen spät die Einsicht von Ulfric, aber das ist ein anderes Thema. Was mir ernsthaft Sorgen bereitet, ist das Töten hochangesehener und loyale Vertreter des Kaiserreichs. Ich bin sozusagen einer der letzten Männer in dieser Position, neben Elisif. Ich verstehe einfach nicht die Zusammenhänge dieses Vorgehens. Auch bin ich der festen Überzeugung, dass das nicht von Seiten der Sturmmäntel kommt. So dumm kann Ulfric doch gar nicht sein.“

Der Jarl setzte sich wieder auf seinen Thron.

„Da kann ich mich Euch nur anschließen, hier steckt eine andere Macht dahinter. Aber ich spreche jetzt keine Vermutungen aus, ohne auch wirklich handfeste Beweise zu haben. Allerdings spitzt sich die Lage zu. Wenn der Killer schon im Beisein des Hofstaates fähig war, Euren Vogt umzubringen, wird er auch keine Probleme darin sehen, Euch ebenfalls zu töten.“

Cidius ging vor dem Jarl auf und ab.

„Da kann ich helfen!“

Als Engar dies sagte, blieb der junge Mann stehen und drehte sich zu ihm.

„Ich lasse meine kleine Spezialeinheit hierher beordern. Die werden kein Auge von meinem Bruder lassen. Und glaub mir, an denen wird sich der Killer die Zähne ausbeißen und sei er noch so gut.“

„Jarl Balgruuf, das werdet Ihr doch wohl nicht ernsthaft in Erwägung ziehen? Ich bin für Euren Schutz verantwortlich und...“

Irileth wurde von dem alten Sturmmantel unterbrochen.

„Befehligt noch nebenbei die Garnision von Weißlauf. Nichts gegen Euch, Irelith. Auch wenn Ihr die beste Freundin meines Bruders seid und ich Eure bisherige Arbeit hier sehr schätze. Nur seht den Tatsachen ins Auge, Ihr könnt nicht überall gleichzeitig sein. Meine Einheit wäre nur zum Schutz meines Bruders da“, gab Engar zu bedenken.

„Irelith, mein Bruder hat recht und ich nehme seine Hilfe gerne an. Ich bin sehr froh, dass du hier bist Engar, und diesen jungen Mann unterstützt. Das hätte ich von Ulfric nicht erwartet“, sagte der Jarl dankbar in die Runde.

„In Ordnung! Da wir ohnehin nach Windhelm unterwegs sind, kann Engar dies in die Wege leiten. Irelith, schicke bitte einen Boten zu meinem Vater, damit er ebenfalls Vorkehrungen treffen kann, um Elisif zu schützen. Man sollte vorbereitet sein, bevor wieder irgendetwas passiert.“

Irelith nahm die Botschaft von Cidius entgegen und ging schnell aus dem Thronsaal. Nach kurzer Zeit verließen auch die drei Männer Weißlauf und ritten gen Windhelm.