DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 1 - Der Tod sucht nicht -


- XII -


Es wurde langsam wieder Abend und der Wind frischte auf. Die Luft roch nach Regen. Den ganzen Tag waren Cidius und Faendal unterwegs, um Informationen zu sammeln. Außer der Drachenfeste hatten sie fast die gesamte Stadt ausgefragt, aber nichts. Genauso wie in Einsamkeit bekamen die Gefährten keinerlei brauchbare Hinweise oder Informationen. Also blieb ihnen nur noch die Feste übrig. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt Faendal am Güldengrünbaum an.

„Warte hier Cidius, ich habe eine Idee!“

Schlecht gelaunt ob der miesen Fortschritte in diesem Fall folgte sein Freund murrend dessen Aufforderung. Der Elf ging zu einem kleinen Mädchen und gab ihr drei Goldstücke. Aber bevor das Mädel auf den Markt laufen konnte, setzte sich der Mann auf die Bank und forderte sie auf, es ihm gleich zutun.

„Wie heißt Du?“

„Laura, mein Herr. Vielen vielen Dank für die Septime! Und wie heißt Du? Du bist nicht von hier oder?“

Sie schaute mit großen Augen auf den Waldelf.

„Mein Name ist Faendal. Ich komme aus Flusswald, und der da drüben ist mein Freund Cidius.“

Das „Auf ihn zeigen“ ging unmerklich in ein Heranwinken über. Als der junge Mann nähertrat, fragte Faendal das Mädchen: „Laura... Ein wirklich sehr schöner Name. Du hast doch sicherlich von dem schlimmen Ereignis oben in der Feste gehört, oder?“

„Ja habe ich. Ich habe meinen Vater verloren...“

„Deinen Vater? Also ich wusste nicht, dass der Vogt noch weitere Kinder hätte...“

„Du verstehst es falsch, alle hier sind meine Familie. Jeder Mann ist mein Vater, jede Frau ist meine Mutter, jedes Kind sind meine Brüder oder Schwestern. Ich kenne alle hier. Und da Du zu mir sehr freundlich bist, bist Du ab jetzt auch mein Vater.“

„Du bist so süß Kleines! Mein Freund und ich haben ein riesiges Problem. Wir wollen den bösen Mensch finden, der das getan hat. Aber keiner konnte uns bis jetzt helfen. Hast du vielleicht etwas oder jemanden gesehen, der nicht zu dieser Stadt gehört oder der dir vielleicht komisch vorkam?“

„Hm... seit sich die Menschen gegenseitig weh tun, kommen viele fremde Leute her. Viele mag ich nicht. Die sind böse, beachten mich gar nicht oder jagen mich einfach weg. Ich bin immer lieb zu den Leuten. Und die mich kennen, haben mich auch lieb.“

Das Mädchen zupfte nervös und nachdenklich an ihrem Kleid, welches schon bessere Tage gesehen hatte.

„Aber da war Einer! Ich spielte allein am Stall, weil ich Pferde sehr mag. Plötzlich war er da und sah komisch aus. Hatte lustige Kleidung an, genauso wie einer von den Gauklern, die manchmal hierherkommen. Aber seitdem die vielen Soldaten kamen, waren diese lustigen Leute nie mehr hier. Wir haben uns lange unterhalten, hatten viel Spaß. Er zeigte mir sehr viele magische Tricks. Ich möchte auch so zaubern können, wenn ich einmal groß bin. Aber dann war er plötzlich weg. Schade ich habe lange nicht mehr soviel gelacht!“

„Pass auf, hier hast du noch zwei Septime. Kauf Dir was Schönes auf dem Markt!“

Das Mädchen sprang freudig auf, umarmte herzlich den Elf und rannte springend zum Platz mit den vielen Ständen.

Auch Faendal stand auf und trat vor Cidius.

„Tja, unterschätze nie den Blick und die Auffassungsgabe eines Kindes. Sie sehen mehr, als manch ein Erwachsener und sind besonders gute Beobachter.“

„Und wie soll uns das weiterhelfen? Ich verstehe nicht ganz den Zusammenhang!“

„Ich bis jetzt auch nicht. Aber was macht ein Narr oder Gaukler allein in einer Stadt? Dieses Schauspielervolk ist meist in Gruppen unterwegs. Warum ging dieser Mann nicht in die Stadt? Ich glaube kaum, dass er aus einer Waise Gold herausholen könnte. Gaukler brauchen zahlungskräftige Zuschauer, um von ihrem Handwerk leben zu können. Spielte sogar mit dem Mädchen vor der Stadtmauer. Haben lange gesprochen. Ich denke mir, dass er dabei das kleine Ding ausgefragt hat. Ich kann mich irren, aber das erscheint mir doch etwas suspekt.“

„Du und Deine Eingebungen! Aber meistens hattest Du recht damit. Wir sollten in der Feste fragen, ob man Gaukler eingeladen hatte.“

Es fing an zu regnen und das langersehnte Nass wurde von den Marktbesuchern lautstark begrüßt. Die Freude war sogar noch zu hören, als beide Freunde die Drachenfeste betraten.


- XIII -


Mit irrem Blick schaute er hoch und das Lächeln des Mannes hatte denselben Ausdruck, während der Regen auf sein Gesicht prasselte. Das Unwetter, welches über Falkenring lag, war von den Bergen gefangen. Ein Blitz schlug unweit seines Standortes in eine alte dicke Eiche ein. Die grelle Wettererscheinung tauchte Wimmerwind in ein gespenstisches Licht. Die beginnende Dunkelheit tat das ihre, um den Eindruck dieser beängstigenden Erscheinung zu verstärken.

Das Pferd bäumte sich erschrocken auf, und wollte fliehen, allerdingswar es vor einen Einachser gespannt. Der eigentümlich gekleidete Mann beruhigte es wieder und trieb es sanft rückwärts in eine Felsnische. Als er damit fertig war, ging er zur Ladefläche des seltsamen Gespanns, deren einzige Fracht eine Holzkiste zu sein schien. Es war aber keine normale Kiste, sondern ein Sarg.

Dem Mann kam dieses Gewitter sehr gelegen, denn für seinen nächsten Auftrag war dieser Umstand sehr dienlich. Der Narr holte ein Amulett aus seiner nassen Kleidung, betrachtete es kurz und sagte dann leise Worte in einer unbekannten Sprache.

Und dann geschah es.

Schwarze Schleier kamen aus dem Sarg, umkreisten den beschwörenden Mann und verschwanden in dem Juwel. Er küsste es und seine irre Mimik verwandelte sich in ein gefährliches und entschlossenes Aussehen. Es war ihm egal, dass der Boden triefend nass war. Er legte sich auf die Lauer, sein Blick klebte förmlich auf Falkenring. Die besondere Aufmerksamkeit galt dem Jarlgebäude und dessen Umgebung.


- XIV -


Cidius und sein Freund trennten sich im Thronsaal der Drachenfeste. Faendal war dabei, eventuelle Spuren zu suchen und sein Partner ging nach oben, um mit dem Oberhaupt dieser Region zu sprechen. Allerdings war er nicht zu sehen und auch sonst war keiner im Saal. Nur eine Dunmer stand am Bücherregal unweit einer nach oben führenden Treppe. Cidius ging zu ihr und als er sich ihr näherte, musterte sie ihn von oben bis unten.


„Ich kenne Euch nicht! Also was wollt ihr hier, und wer ist Euer Begleiter? Ich mag es nicht, wenn hier jemand ohne meiner Erlaubnis herumschnüffelt. Also erklärt Euch, bevor ich Eure Hintern aus der Feste befördern lasse!“

„Langsam, langsam meine Dame! Ich bin im Auftrag der kaiserlichen Armee hier. Habe alle Vollmachten meines Vaters. General Tullius ist sehr daran interessiert, wer den Vogt von Einsamkeit umgebracht hat. Und da Euren Vogt das gleiche Schicksal ereilte, sehe ich eventuell einen Zusammenhang darin. Also kein Grund, unfreundlich zu werden.“

„Das erklärt zumindest, warum Euch die Wachen hereingelassen haben. Aber mich beeindruckt das nicht. Ja ich kenne Euren Vater, ein guter Mann, ein hervorragender Soldat und Befehlshaber. Aber sein Sohn scheint wohl nicht daran interessiert zu sein, es diesem Mann gleich zu tun. Ist mir aber eigentlich auch egal. Also was kann ich für Euch tun? Und fasst Euch kurz, ich habe Wichtigeres zu tun!“

Cidius ging das herablassende Getue dieser Dunmer gewaltig auf die Nerven.

„Was ist den in Euren Augen „Wichtigeres“? Menschen wurden hinterhältig umgebracht. Angesehene Männer und loyale Anhänger des Kaisers. Und ich bin hier, um dies aufzuklären. Zumindest versuche ich es. Ist das vielleicht nicht in Eurem Interesse? Oder ist es Euch egal?“

Die Frau wandte sich energisch zu ihm um und schlug dabei ein vorher geöffnetes Buch laut hörbar zu.

„Natürlich bin ich sehr daran interessiert, dass man den Mord an Proventus Avenicci aufdeckt! Ich war zwar meist nie seiner Meinung, denn er war ein Angsthase, ein gutgläubiger Schwätzer und Arschkriecher. Ich frage mich heute noch, wie der Jarl so einen Mann zum Vogt machen konnte. Aber auch wenn wir oft unsere Differenzen hatten, so habe ich ihm nie den Tod gewünscht. Ich verstehe selbst nicht, wie das geschehen konnte...“

Nachdenklich und traurig blickte die Dunmer auf das Buch.

„Deshalb bin ich hier, werte Dame. Ich möchte mit dem Jarl über dieses Ereignis sprechen. Wo finde ich ihn?“

„Das kann ich leider nicht zulassen. Um diese Zeit ist er mit seinen Kindern in den streng bewachten Gemächern beim Abendessen. Und danach geruht er meist zu Bett zu gehen. Ab dieser Zeit möchte er nicht mehr gestört werden.“

„Und wer sagt das?“

„Irileth, die Huscarl und Befehlshaberin seiner Einheiten. Und die steht vor Euch! Und wer seid ihr? Ein namenloser Sohn des Generals in seinen Diensten?“

„Oh Entschuldigung! Mein Name ist Cidius. Mein Freund und Partner da drüben ist Faendal aus Flusswald.“

Er machte eine respektvolle Verbeugung vor der resoluten Frau. Mit einem etwas erstauntem Gesichtsausdruck starrte Cidius sie an. In ihrem Gesicht war unmissverständlich zu erkennen, dass sie es vollkommen ernst meinte mit der Verweigerung, den Jarl zu besuchen.

„Was macht ihr Beide eigentlich?“

Hin und wieder blickte sie zu Faendal, der sich ganz genau im Thronsaal umschaute.

„Nüchtern betrachtet jagen wir Verbrecher.“

„Eine noble Aufgabe! Aber kommt nun zum Punkt Eures Hierseins.“

„Wir haben den ganzen Tag schon die gesamte Stadt nach Informationen und Hinweise abgeklappert, ohne nennenswerten Erfolg. Deshalb wollten wir uns am Tatort umsehen und eventuell die Leute befragen, die direkt dabei waren. Also, habt Ihr etwas Verdächtiges bemerkt oder gesehen? Ist Euch jemand aufgefallen, der sich komisch verhielt?“

„Nein, tut mir leid. Das einzige Außergewöhnliche war, als wie aus dem Nichts ein Messer, ein langer dünner Dolch, auf den Vogt zuflog. Ich wollte ihn noch warnen, doch da war es schon zu spät. Im Genick getroffen brach er zusammen. Wir hatten danach viel zu tun, um die aufgebrachte Menschenmenge zu beruhigen und das Chaos in der Feste zu beseitigen. Niemand hat etwas gesehen oder bemerkt.“

„Wurden nicht alle befragt? Kam Euch keiner verdächtig vor, oder verhielt sich dementsprechend?“

„Es waren alles angesehene Leute mit Rang und Namen. Jedem Zweifel erhaben. Jeder Gast war ein gerngesehener Freund des Jarls. Er konnte und kann es sich nicht vorstellen, dass es einer von ihnen war! Aber wenn Ihr mehr wissen wollt, fragt den ersten Verzauberer Farengar. Er hat sich Genauestens mit dem Toten beschäftigt. Vielleicht hat er mehr Hinweise für Euch.“

Es war der Elfe anzusehen, dass die Fragen des jungen Mannes ihr nicht behagten und ihr eher unangenehm waren. Meist war sie es, die Fragen stellte und entsprechende Antworten erwartete. Sie konnte dabei auch sehr unangenehm werden.

„Hm, verständlich. Danke, also werde ich jetzt zu Farengar gehen. Wo finde ich ihn? Ach und eine Frage habe ich noch... wurden Gaukler zu dem Fest eingeladen?“

„Wenn das einer vorhatte oder angeordnet hat, dann war es der Vogt selbst. Ich glaube aber kaum, dass ein Toter Euch diese Frage noch beantworten kann. Die Räumlichkeiten des ersten Verzauberes sind genau hinter Euch. Wenn Ihr mich jetzt also entschuldigt, ich habe noch Einiges zu tun!“

Irileth stellte das Buch zurück in das Regal und ging, ohne sich zu verabschieden, die Treppe nach oben.

„Einen schönen Abend noch!“

Cidius schaute ihr nach, während er sich nachdenklich an das Regal lehnte. Er war insgeheim der Ansicht, dass keiner der geladenen Gäste vorhatte, den Vogt zu töten. Aber auszuschließen war es trotzdem nicht. Jede Machtposition hat ihre Neider und Feinde. Die spärlichen Erkenntnisse ließ bei dem jungen Mann die Halsschlagader anschwellen. Er drehte sich um und winkte Faendal zu sich, als dieser in die Nähe des Thronsessels kam.


- XV -


Wie ein Wiesel bewegte sich der Schatten durch den Wald. Kein Holzbrechen oder unnötiges Rascheln von Gestrüpp und Gras verriet sein Annähern. Die Wärme der kleinen Stadt verhinderte das Eindringen des Nebels, welcher sich nach dem Gewitter mehr und mehr verdichtete. Wie unter einer Schutzglocke gelegen wurde der Dunst gezwungen, am Stadtrand herumzuwabern und nach einer Lücke zu suchen, um doch noch in den Ort einsickern zu können.

Fackeln verrieten dem Killer die Standorte der Wachen. Zwei waren auf den hohen Holzzinnen nahe dem Eingang der Stadt, weitere standen vor dem Jarlgebäude, andere patrouillierten durch die Ansiedlung. Dieser Umstand gefiel ihm nicht. Einerseits war es vollkommen logisch nach den letzten Ereignissen, die seine Handschrift trugen. Aber andererseits mochte er gerade solche Herausforderungen.

Noch war leichter Betrieb um und im Jarlhaus. Bewohner betraten oder verließen es wieder, gingen danach entweder nach Hause oder in die Taverne. Um unbemerkt zum Ort seines Auftrags zu gelangen, sprach er mit einem irren Grinsen einen Zauberspruch aus. Seine Konturen verschwammen, bis sie vollkommen verschwunden waren. Aus dem Schatten der Schmiede kommend, überquerte er geräuschlos die Straße und verschwand in einer Einbuchtung unter dem Langhaus des Jarls. Dieses Versteck hatte er schon hoch oben von den Ruinen aus gesehen, und es schien perfekt für sein Vorhaben zu sein. Die Einbuchtung entpuppte sich als eine Art offenes Lager. Der Mann konnte Umrisse von mehreren Kisten und Fässern erkennen. Während er es sich bis zum für ihn günstigsten Zeitpunkt gemütlich machte, hörte er der Unterhaltung der Posten vor dem Eingang zu.

„Ich hab gedacht, daß ich grade was im Schein des Feuers gesehen hab. Es schien wie aus verschwommenem Glas zu sein, während es sich über die Straße bewegt hat!“

„Ach komm schon Mann! Du siehst wohl schon wieder Gespenster. Oder das lange Rumstehen macht dich müde. Geht mir aber genauso. Zwei Stunden noch bis Mitternacht, dann kommt die Nachtablösung. Von mir aus könnte die jetzt schon da sein.“

Mehr wollte der Killer nicht hören. Er wusste, dass die Ablösung aus nur einem Mann bestand. Dass dieser schon heute dem Tod gegenüberstehen würde, ahnte der Wachmann noch nicht. Genausowenig wie der Jarl, den das gleiche Schicksal ereilen sollte. Wenn jetzt jemand Cicero sehen könnte, würde er erkennen, wie aus seinem irren Gesichtsausdruck eine gefährliche Grimasse wurde.