In Drachenblut geschmiedet


Kapitel 33 - Die Hoffnung einer Gegenleistung -



Taverne „Himmelstor"

...

Die Luft im großen Saal des Etablissements war erfüllt, von einem Gemisch aus verschiedenen Tabaksorten, stickiger Wärme und kurzzeitig hereinkommender, eisig kalter Luft. Die immer dann eindrang, wenn mal ein weiterer Reisender erfreut darüber war, endlich im Warmen zu sein. Oder ein Anderer mal fluchend und ungehalten, ob des draußen tobenden Sturmes, die Taverne betrat. Auch der übermäßige Genuss von Bier, Wein oder Schnaps vermischte sich mit dem anderen unangenehmen Duft, der im Raum, wie eine dicke Dunstglocke hing. Die Luft war förmlich mit einer Schere zu zerschneiden.

Die beiden Krieger hatten es schwer, sich bei diesem Gerüchen, auf das gute Mahl zu konzentrieren. Auch die klimpernde Musik einer leicht verstimmten Laute des Barden, schwor langsam aber sicher Unbehagen der Missbilligung herauf. An Kematu war anzumerken, das er drauf und dran war, diesen Heini an die kalte Luft zu setzen. Aber als er dann das Dröhnen des Schneesturms vernahm, welcher wieder ausgebrochen war, hatte er Mitleid mit dem jungen Mann. Um sich von der Musik abzulenken, wollte er lieber ein Gespräch mit seiner Liebsten führen. Aber er sah sofort die Bedrücktheit im Gesicht der Frau, die dann sein Vorhaben in Betrübtheit vergessen ließ.

Seit der Rückkehr aus der eisigen Gruft, hatte Samara kein einziges Wort mehr gesprochen. Zur sehr war sie vom dem Fehlschlag der Mission, um vor allem Stenvar zu helfen, niedergeschlagen worden. Das machte ihr schwer zu schaffen. Das konnte man wahrlich spüren. Konnte es fast anfassen! So sehr war Samara damit beschäftigt.

Doch plötzlich hörte er ihre Stimme als Zeichen dafür, das sie noch geistig anwesend war. Und nicht irgendwo in einem Wachalptraum gefangen war, auch wenn es sich danach anfühlen musste. Aber die folgenden Worte ließen ihn selbst in einem Abgrund von Bedrücktheit, von Zweifel, von Traurigkeit und beklemmender Hilflosigkeit stürzen.


„Das Buch des Lebens kann Einem viel erzählen!...“ durchbrach Samara die unerträglich gewordene, innige Leere des Scheiterns ihrer letzten Aufgabe.

„...Gerade in dieser Zeit, welches von unerbittlichem Kampf, von unerträglichem Leid, von unsäglichem Schmerz, von zerbrochenen Herzen, vom Tod und vom Verlustes liebgewonnener Menschen erzählt. Da ist eben kaum ein Platz für Heimat, Glück, Liebe, Freude und des sich Wohlfüllens. Man erlebt es Tag für Tag. Von Minute zu Minute. Jede verstrichende Sekunde. Wir erleben es selbst mit jeder neuen Narbe, die man uns zufügt. Wo wir uns dann fragen, warum machen wir das? Warum tun wir uns das überhaupt noch an?

Weil wir es so wollen! Weil wir es müssen! Weil wir keinen anderen Ausweg haben! Außer der Flucht davor und des somit Eingestehens des Versagens. Nur fliehen wir nicht, weil das nicht unsere Art und Weise ist, weil wir Anderes nicht gewohnt sind und wir damit leben müssen. Wir müssen damit leben, weil es unser Schicksal ist!

Ist das aber auch Stenvar`s Schicksal? Mitnichten! Ist seine schwere Verletzung die Folge seines Schicksals gewesen? Mitnichten! Ich war es doch, der ihn nach Solstheim mitnahm! Soll ich ihn, wegen meines Schicksals, einfach so dem Tod überlassen? Mitnichten! Ohne ihn, wäre ich schon mehrmals dem Tode geweiht gewesen. Er ist eben ein Krieger, der das Kämpfen für eine gerechte Sache, mehr als nur liebt. Auch wenn er damit als Söldner seinen Unterhalt verdient. Er blieb dabei immer ein geschätzter und treuer Freund. Und ich will deswegen nicht versagen! Ich darf deswegen nicht versagen! So nicht!“

Samara hatte keinen Hunger mehr, zu sehr war sie mit diesen Gedanken beschäftigt. Auch der Geruch des Raumes tat dabei sein Übriges. Sie schob ihr Essen beiseite. Sie starrte auf den nun leeren Platz, den vorher noch der Teller eines wohlschmeckenden Mahles füllte.


„Du kannst nicht jedes Lebewesen, vor allem nicht jeden Menschen retten! Auch wenn Du es gern würdest. Es gern willst! Es gern möchtest!

Jeder von uns hat geliebte Menschen verloren. Das weißt Du genauso gut wie ich! Wir haben selbst erlebt, das in vielen Situationen, ob nun gewollt oder ungewollt, der Tod ein ständiger Begleiter war und sein wird. Der seinen unbarmherzigen Tribut stets einfordert. Das ist seine Natur. Die Natur des Lebens. Ein ständiger Kreislauf und ein Gesetz des unzerstörbaren Zyklus von Leben und Tod. Und das der Tod bei unserem Vorhaben, immer bei uns sein wird. Das wird nicht mehr zu verhindern sein. Er sei denn, man flüchtet davor. Es sein denn, man rennt vor seinem Schicksal, ob nun selbst auferlegt oder von Anderen aufgezwungen, einfach weg. Aber das tun wir nicht!

Du bist mittlerweile von einer Ausbilderin, einer gestandenen Frau und Mutter, zu einer wahrhaftigen Kriegerin wider Willen gereift. Weil Dich das Schicksal dazu getrieben hatte. Das hat mit dem Überfall auf Skaven angefangen. Als Du um Dein Leben kämpfen musstest! Du konntest Deine Familie nicht retten! Du konntest Deine Dir anvertrauten Schüler nicht retten! Du warst gezwungen Dich selbst zu retten! Und wie bist Du damit fertig geworden? Weil Du festgestellt hast, das Du kein göttliches Wesen bist, das sich um alle kümmern kann. Das obliegt nur den Göttern! Und auch nur dann, wenn sie es wollen! Ich wurde mit dem Leben eines Krieger großgezogen. Wurde zu meinem Beruf. Meine Bestimmung! Ich kenne nichts Anderes! Du hast somit auch gelernt, damit zu leben. Es zu akzeptieren! So wie ich! Auch wenn es manchmal sehr wehtat und es immer noch so sein wird, wenn man geliebte Menschen verliert.“ sprach Kematu ruhig und jedes Wort bedacht wählend, während er ebenfalls sein Essen in Ruhe ließ. Ob er mit seinen Worten ihr ins Gewissen reden konnte, wusste nur sie zu beantworten. Er blickte zu Samara, die aus der Starre erwachte und lauter werdend erwiderte:


Vielleicht bin ich dazu doch noch nicht bereit, es zu akzeptieren! Man kann eine Geldbörse, eine Waffe, ein Schild oder einen Bogen verlieren. Aber den Verlust eines Kameraden, eines Freund oder einer Freundin, eines liebgewonnen Menschen oder der gesamten Familie? Kann man mit Sicherheit nicht so einfach hinnehmen und vor allem ertragen! Und Stenvar ist eben solch ein Mensch für mich. Du hast Recht! Entweder man akzeptiert das Unvermeidliche, das Unfassbare, das Unglaubliche oder man kämpft dagegen an, solange noch die leiseste Hoffnung besteht, sein oder andere Leben zu retten. Und das werde ich erst recht nicht akzeptieren, solange ein Funken Hoffnung in ihm schlägt. Noch ist er nicht tot. Und ich weiß, das er ein großes und starkes Herz hat. Ich weiß, das er eine Kämpfernatur ist, dass selbst der Tod sich vor ihm Fürchten sollte! Solange man noch die Möglichkeit hat, ein Menschenleben zu retten, werde ich alles dafür tun, was auch immer dafür notwendig sein sollte. Das würdest Du Kematu auch für mich tun und hast es auch schon getan. Das würdest Du immer für mich tun oder täusche ich mich da in Dir?“ Fragend und herausfordernd schaute sie Kematu an. In ihren Augen konnte man das Bitten, das Flehen und auch das Aufsteigen leichten Zweifels erkennen. Das sie mit den letzten, laut ausgesprochenen Worten die anderen Anwesenden auf sich aufmerksam machte, war ihr in diesen Moment vollkommen egal. Es waren auch Soldaten der Sturmmäntel anwesend. Sie sollten ruhig hören, was Sie über den Verlust von Menschenleben, über den Tod, deren Verantwortung auch sie betrafen, zu sagen hatte.


„Vielleicht hat mich mein Leben als Assassine so abstumpfen lassen, das ich gelassener mit dem Tod umging. Weil ich in diesem Sinne selbst der Untertan des Todes gewesen war. Seine Order ausführte und somit selbst Menschen den Tod überbrachte. Ob nun verdient oder unverdient, das war und ist dann wieder eine andere Frage. Aber als ich Anise sterben sah, als ich zuvor die furchtbaren Erlebnisse meiner Liebsten bei der „Dunklen Bruderschaft“ angehören musste, war diese Einstellung, diese Gelassenheit wie weggeblasen. Das hatte mich verändert! Mich einer anderen Sichtweise an zu nehmen. Ich wollte und konnte nicht mehr der Bote des Todes unter der Betrachtungsweise des Kodexes einer Assassine sein!“

Daran musste er denken und bevor ihre Zweifel den Siedepunkt erreichten, antwortete er:

„Ruhig meine Liebe!...“ versuchte er sie zu beruhigen, um sie von ihren Zweifel zu entledigen.

„...Sicher würde ich es auch für Dich tun! Dafür liebe ich Dich zu sehr! Und das weisst Du! Dessen kannst Du Dir immer sicher sein!

Ich hätte da eventuell eine Idee! Ein Strohhalm einer kleinen Möglichkeit! Du hast doch erzählt, das die Graubärte eine innige Verbindung zu Drachen haben. Und das einige Drachen, auf ihrer Seite und auf der Seite der Menschen stehen würden. Das Du selbst durch Drachenblut geheilt wurdest. Was spräche dagegen, wenn man dies auch für Stenvar tun würde. Dann wäre er auch ein Drachenblut und Du wärst nicht allein, wenn die Zeit gekommen ist, sich Alduin zu stellen. Meine Person und meinem Beistand logischer Weise einbezogen. Ich kenne mich zwar nicht mit der Lebensweise aus, die in Hoch Hrothgar herrscht. Aber wenn ich mit meinem Vater reden würde und er bereit dazu ist, uns zu helfen, hätte vielleicht Dein Freund eine Chance zu überleben. Was hältst Du davon? Also für mich ist das der letzte Ausweg ihn zu retten!“ Nun war es Kematu, der Samara fragend betrachtete.

„Warum sind wir nicht gleich darauf gekommen? Aber natürlich! Wenn mich diese Herrschaften vor dem Tod, mittels eines Drachens bewahrt hatten, müsste es auch bei Stenvar doch möglich sein?

Bitte!...Bitte! Lass uns sofort nach Windhelm reiten und Stenvar in das Kloster bringen. Dein Vater soll es von mir aus, als Gegenleistung sehen, das er mir dieses Schicksal auferlegt hatte. Er muss es einfach für mich tun. Er ist mir das schuldig!“ Sie sprang auf und packte schnell ihre sieben Sachen zusammen.

„Warte Samara! Samara!!!“ rief er ihr zu, als sie drauf und dran war, aus „Himmelstor“ raus zu rennen.

Sie blieb abrupt stehen und wandte ihr Gesicht ungeduldig zu ihren Liebsten zu.

„Meine Liebe! Ich habe Bedenken, das Stenvar in seinem Zustand überhaupt fähig wäre, diesen Aufstieg zu überleben! Du hast es selbst miterlebt, was uns dabei widerfuhr! Willst Du das ihm antun? Bist Du Dir auch sicher, dass es das Richtige für ihn ist? Hast Du nicht noch andere, wichtigere Aufgaben zu erfüllen? Was ist damit? Deine Entscheidung!“ Samara´s lange und weiche Haare wurden leichte Beute des Schneesturms. Er spielte mit ihren Strähnen, als ob sie seidene Fäden wären. Die Frau schloss wieder die Tür und begann lange überlegend, auf und ab zu gehen.


Die Anwesenden fingen schon lautstark an zu murren, weil die Kriegerin die Eingangstür sperrangelweit offen ließ, während sie Kematu`s Fragen in sich aufnahm.

Es waren zwar nur ein paar Sekunden, aber sie reichten einerseits vollkommen aus, den gesamten Raum mit frostiger Luft zu füllen und die Flammen der Kerzen drohten auszugehen, ob des wilden Eindringens des Sturmwindes. Selbst das Feuer im Kamin bekam Angst und wollte sich tiefer in den Kamin verkriechen. Das die dabei entstandene Kälte ein empfindliches Unbehagen hervor rief, war nicht zu überhören. „Bescheuertes Weib! Mach sofort die blöde Tür zu!“ war eine der wahrlich unschönen Äußerungen, die aus manch einer Ecke kam. Andererseits wurde dadurch endlich die Luft des Raumes von dem Gestank gereinigt und die Sicht wurde klarer. Der stickige Nebel von rauchenden Utensilien wurde nun, für eine Zeit lang aus der Taverne verbannt. Wenn auch nur von kurzer Dauer. Denn, als sich die Tür wieder schloss und als ob sich das Hingeben des Rausches von Tabak, die einzig wahre Beschäftigung der Anwesenden wäre, füllte sich der Raum wieder mit diesem ausgeatmeten Dunst. Oder man wollte sich selbst damit schnell wieder aufwärmen, ob der unerwarteten Kälte, die plötzlich die Gäste des Etablissements umgab.


Nach einigen Minuten blieb sie stehen und blickte dabei fest in Kematu´s Augen.

„Ich bin mir auch nicht sicher! Aber habe ich noch eine andere Wahl? Eine noch nach Erfolg versprechende Alternative? Dein Vorschlag ist die einzig vernünftige Idee, die ich nun nur noch habe. Aber ich bin mir sicher, wenn es Stenvar schaffen sollte, lebend in Hoch Hrothgar anzukommen, dann hat er bewiesen, das ihn der Tod noch nicht haben kann. Das er eine zweite Chance verdient, weiter zu leben. Auch wenn es nicht mehr das alte Leben sein würde. Sieh es als eine Prüfung für ihn an! Ob er für ein zweites Leben würdig ist. Und für mich, ist er mit Sicherheit würdig! Sollte er es nicht schaffen, dann und nur dann werde ich seinen Tod akzeptieren müssen! Auch wenn es mir schwer fallen wird. Dann haben es die Götter nicht anders gewollt! Sein Schicksal liegt nun in deren und seinen Händen. Wir könnten ihn nur dabei helfen! Den Weg zum Leben muss er aber dabei selbst beschreiten. Ja! Er wird es schaffen! Er muss es schaffen! Ich hoffe nur, das Dein Vater damit einverstanden ist. Es muss mir diesen Gefallen tun! Aber nur Du kannst ihn dazu bewegen, es auch zu tun. Zumindest Dir zur Liebe! Das ist meine letzte Hoffnung für Stenvar! Bist Du mit meiner Entscheidung einverstanden?“ Samara sah Kematu fest in seine Augen, als er nun vor ihr stand.

„Also in Ordnung! Machen wir es so! Reiten wir nach Windhelm und holen Deinen Kameraden ab. Was ist das für ein Mann, wenn diese Frau sich so für ihn einsetzt. Da wird man ja neidisch und eifersüchtig. Du hast mich nun vollkommen neugierig gemacht und ich muss ihn unbedingt kennenlernen. Wow! Das macht mich sprachlos und auch etwas nervös! Aber eine Frage hast Du mir noch nicht beantwortet! Was ist mit der Dir aufgetragenen Aufgabe meines Vaters?“

Samara hatte darauf noch keine Antwort parat. Sie versuchte lächelnd, sich dieser Frage noch zu befassen. Deshalb antwortete sie:

„Was ist denn für mich augenblicklich Wichtiger, hm? Das blöde Horn von diesem Windrufer? Alduin, der mich töten will? Mein Schicksal? Oder Stenvar? Wovon reden wir die ganze Zeit, hm?

Im Moment ist für mich mein Freund wichtig! Ich werde mir Gedanken machen, während wir nach Windhelm reiten! Aber Du hast recht! Uns rennt die Zeit davon! Ich werde mir eine vernünftige Alternative überlegen, wie ich beide Angelegenheiten verknüpfen kann! Dazu habe ich, bis wir in Windhelm sind, Zeit genug! Zufrieden?“

Kematu konnte sich dem Lächeln seiner Liebsten nicht erwehren. Also stimmte er ihrem Vorschlag zu: „ Na dann los! Auf in die ewige Stadt der Nord!“

Sie brachen unverzüglich auf. Dem Schneesturm trotzend, ritten beide Gefährten durch den knöcheltiefen Schnee, der sich auf der Straße nach Osten gebildet hatte. Und sich weiter vermehrte, weil der Schneefall noch stärker wurde. Man hatte große Schwierigkeiten sich an der Straße zu orientieren, die sich langsam aber sicher mit der übrigen Umgebung, zu einer großen Fläche vereinte.

Leichter als getan, konnte Samara schwerlich eine Antwort finden, wie sie sich nun entscheiden sollte, wie es in und nach Windhelm weiter ginge. Auch fiel es ihr schwer ihre Gedankengänge mit Kematu zu teilen. Der Blizzard verweigerte ein Gespräch zwischen beiden Freunden.

Ihr blieb also nichts anderes übrig, als in Windhelm eine schnelle Antwort über das beiderseitige Vorgehen in diesen Angelegenheiten zu finden.

Samara hatte da schon eine noch nicht ausgereifte Idee. Aber die würde mit Sicherheit ihren Liebsten überhaupt nicht gefallen.

...

Aber sie wollte es, wenn es soweit wäre, darauf ankommen lassen.


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