In Drachenblut geschmiedet


Kapitel 24 - Richtig oder falsch -


 

Der Mann blickte mit gequälten Gesichtsausdruck zum Drachenblut hinüber. „Du wusstest es! Oder?“

„Ja,...!“ Samara schaute verlegen und schuldbewusst weinend und leicht zitternd zu ihm.

„Warum hatte Anise nichts gesagt? Wann hast Du es erfahren, das sie meine Mutter ist?“ ihr Freund verstand die Welt nicht mehr. „Warum muss ich alles immer auf diese Art und Weise erfahren? Ich kann es nicht, nein, ich muss es nicht verstehen!“ seine Blicke richteten sich gen Himmel, in der Hoffnung da die Antworten zu finden.

Es sind nur einige Minuten nach den letzten Ereignissen voller schmerzhafter Erinnerungen, voller Offenbarungen, unglaublichen Erkenntnissen von schmerzhaften Wahrheiten vergangen. Aber beiden Menschen kam es wie eine schmerzvolle Ewigkeit vor. In jedem dieser aufgewühlten, leidvollen, unsicheren Körper, sind unsichtbare, scharfe und gefühlt brennende Klingen eingedrungen. Sie drohten innerlich ein Feuersturm voller Fragen zu entfachen. Nicht vorhandene Antworten, die dieses Feuer hätten löschen können, waren nicht zu sehen. Antworten, die Beide seit Langem suchten, immer gewillt, diese auch zu erfahren, waren so nah und doch in weite Ferne gerückt. Andererseits herrschte in ihnen eine Angst, ob man auch überhaupt bereit war, diese Antworten zu hören und in sich aufzunehmen. Sich mit Denen auch auseinander zusetzen. Mit Diesen auch Leben zu können. Auch wenn sie noch so weh tun. Ein innerliches Schlachtfeld, in dem sie nun standen, jeder für sich alleingelassen, umgeben von totgeglaubten Fragen, die nun wieder erwachten. Es gab keine Flucht vor den nichtssagenden Antworten. Man war einfach zu schwach, man konnte sich nur noch ergeben. Oder aufzustehen und weiter zu kämpfen! Auch wenn jede Antwort, eine weitere, schwere schmerzvolle Wunde zufügte.


Samara ging zu Kematu, stellte sich vor ihm auf und nahm seine Hände.

„Ich konnte es Dir nicht sagen! Auch wenn ich es versucht hätte! Ich konnte und wollte es einfach nicht! Ich musste es Anise versprechen! Nein, musste es sogar schwören! Nicht alles ist so einfach auszusprechen, nicht zu offenbaren, nicht einfach zu verstehen! Auch wenn es die Suche nach der Wahrheit hätte beenden können! Es tut mir so leid, das Du es auf diese Weise erfahren musstest! Auch wenn es nicht meine Schuld war und ist, habe ich auch ein Teil ihrer Bürde auf mich genommen! Ich müsste eigentlich mich befreit fühlen von dieser seelischen Last, aber ich schaff es nicht sie einfach abzulegen! Bitte! Verzeih mir!“ die Frau blickte bittend, nein flehend in sein hart gewordenes und von inneren seelischer Qualen verzerrtes Gesicht.

„Du kannst ja nichts dafür! Vielleicht war unser Wiedersehen, unser nun gemeinsamer Weg, Deine Ohnmacht im Grab, mehr als nur ein Wink des Schicksals, das ich damit meiner Mutter begegnen sollte! Vielleicht ist dein Schicksal fest mit meinem verbunden. Vielleicht hätte es Anise mir unter anderen Umständen eher sagen können, das wir aus dem selben Fleisch und Blut sind. Das ich ihr Sohn bin! Vielleicht, vielleicht würde es dann nicht so weg tun! Vielleicht könnte ich ihr dann verzeihen! Aber ich weiß es nicht, ob ich es nun überhaupt kann!“ Kematu riss sich von Samara los und setzte sich auf eine der Truhen neben dem Altar.

 

„Auch ich weiß es nicht, wie ich mich Verhalten hätte, wenn es mir passiert wäre! Aber versuch auch Anise zu verstehen! Sie hat es ohne hin schon schwer genug! Wenn sie Dich dadurch verlieren würde, wäre ihre Bürde eine Last, die sie nicht mehr zu tragen vermag! Dieses schwere, seelische Gewicht würde Anise zerdrücken! Ohne die geringste Chance zu haben, es Dir zu erklären! Ohne die Hoffnung zu haben, das damit endlich Ihre und vor allem Deine Ungewissheit der Vergangenheit angehörte! Ohne die Möglichkeit zu haben, Dir zu sagen, wie sehr sie Dich vermisste, wie sehr sie Dich liebt! Ich bitte Dich! Versuch Deiner Mutter zu verzeihen! Tue es nicht mir zu liebe, sondern für Anise und vor allem für Dich ! Sonst endet unser gemeinsamer Weg hier und jetzt! Weil daran wirst Du zerbrechen! Ob Du willst oder nicht! Du selbst bist hier die Wahrheit zu finden! Also stell Dich ihr, auch wenn es noch so weh tut! Wenn Du mich wirklich lieben solltest, wenn Du darauf hoffst, das ich dies auch erwidern soll, dann versuch es oder besser noch, tue es!

Nicht für mich, sondern für Dich! Und glaub mir, Anise liebt Dich innig und vom ganzen Herzen!“

 

Der Mann schaute zu ihr auf, und sah in ihr eine Wandlung vollziehen, die sie verloren zu glauben schien. Kematu sah wieder diese Frau, seine Freundin, seine Lehrerin, seine heimliche Liebe wie am ersten Tag. Voll fester Entschlossenheit, innerlicher Kraft, seelischer Befreiung und den Frieden im Geist. Den Frieden in ihrer Seele. Wissend und kämpferisch, um sich jeglicher Herausforderung zu stellen. Bereit sich gegen das ihr auferlegte Schicksal zu stellen. Bereit im Geist, das nur Sie selbst ihr Schicksal bestimmt.

„Ich gehe jetzt da rein und lass Dich allein! Ich ahne, das in diesen Mauern vor Dir, auch Dein Vater ist! Überlege, was Du nun machen willst! Ich hoffe, nein ich wünsche es mir, das Du mir dann folgst! Stell Dich der Wahrheit und fordere sie heraus! Nur dann kann und will ich Dir auch helfen! Du sollst wissen, Du bist dabei nicht allein!“

Ohne weitere Worte der Zustimmung seinerseits, in der Hoffnung das ihr Freund sich richtig entscheiden würde , erklomm das Drachenblut die Stufen zum Kloster. Sie war innerlich bereit und fest entschlossen, dem nun Folgenden entgegen zu treten. Ein freier Geist, eine freie Seele betrat die ehrwürdigen Hallen von Hoch Hrothgar.

In Kematu`s Seele und in seinem Geist wütete ein verheerender Kampf.

Zwischen Richtig und Falsch. Zwischen Gut und Böse. Zwischen Wut und Sehnsucht. Zwischen selbst gestellter Fragen und Antworten. Zwischen Sehnsucht und Abneigung. Zwischen Wollen und Können. Zwischen unbekannter Liebe und Verachtung. Zwischen Gegenwart und Zukunft. Während sich in dem Mann dieser Kampf fortsetzte, setzte sich „Schwarzauge“ auf seine Schultern. Mit geheimnisvollen und einem gewissen Leuchten in seinen Augen, die wie schwarze Perlen strahlen, blickte er zu seinem großen Freund hoch. Dieser Blick, beendete für eine kurze Zeit den Kampf der Gedanken in ihm.

„Du mein getreuer, kleiner Freund sollst mir also meinen Vater offenbaren!“ er hob seinen Arm und der Falke, hüpfte daran herunter, bis er den Zeigefinger seiner Hand erreichte.

„Was soll ich tun, hm? Kannst Du es mir vielleicht sagen?“ Der Raubvögel öffnete seinen Schnabel, als ob er wahrlich darauf antworten würde. Kematu blickte ihn dabei in seine schwarze Augen und streichelte ihn sanft am Hals.

ICH SAH MICH!

Mein Erschrecken eines unmöglichen Traumes wurde noch größer, als Yasudo hinter meinem Rücken auftauchte.

„Hey, Kematu, man sucht nach Dir! Man mach sich schon Sorgen, wo Du bleibst! Endlich habe ich Dich gefunden! Wow! was ist das denn für ein kleiner Vogel! Aber warum guckst Du mich so an? Was ist passiert?...“ wr merkte einfach nicht, das ich unfähig war zu antworten. Der Junge ließ sich von meinem Erschrecken anstecken. Mit dem Auftauchen Yasudo´s erhob sich auch der Falke und flog davon.

„Ach nichts!“ versuchte ich ihn zu beruhigen. Aber mein Mitbewohner des Dorfes ertappte mich dabei, das es eine Lüge war.

„Nichts! Das würde aber anders aussehen, als wenn Nichts passiert wäre!“ Yasudo ahnte, das hier Etwas nicht stimmte.

„In Ordnung! Was passiert ist, würdest Du mir eh nicht glauben! Also lasse ich es erst einmal! Wenn ich es selbst irgendwann verstanden haben sollte, was da eben geschehen war, werde ich es Dir erzählen! Versprochen!“ bittend schaute ich Yasudo an. „Aber nur unter einer Bedingung! Du erzählst Niemandem über das, was Du hier zu sehen geglaubt hast! Einverstanden?

„Na gut, einverstanden!“ versprach er mir. „Hm! Als Gegenleistung erfüllst Du mir aber einen Wunsch! Eine Hand wäscht die andere sozusagen!“ in seinem Augen sah ich eine Entschlossenheit und die Gewissheit, das er mein Geheimnis bewahren würde.

„Also gut, was ist das für ein Wunsch!“ meine Frage ließ ihn verlegen auf seine bloßen Füße schauen.

„Ich wünsche mir schon seit langem Dein Freund zu sein. Nur habe ich mich nie getraut, Dich danach zu fragen. Na ja! Es ist verdammt schwer, an Dich heran zukommen!

Würdest Du mich also als Deinen Freund betrachten? Bitte!“ fragend hob er wieder seinen Kopf und schaute mich mit einem festen Blick an.

 

Yasudo, ein schmächtiger Junge, der sich aber immer auf meine Seite schlug, wenn ich mal mit anderen Kindern Schwierigkeiten hatte. Meistens hatte ich ihn wenig beachtet, oder mir war sein Sinnen oder seine Hilfsbereitschaft nicht so bewusst gewesen. Es lag eben daran, das ich mir selbst einredete, das ich nicht hierher gehörte. Das man mich nur als Findelkind ansah, auch wenn es kein Gleichaltriger aussprach. Aber ich konnte es in ihren Gesichtern sehen. Ihr Mitleid ging mir manchmal auf die Nerven. Deshalb wollte ich stets allein sein. Nun machte mir dieser Yasudo ein Freundschaftsbekenntnis. Unter normalen Umständen hätte ich nein gesagt. Aber das hier war kein normaler Umstand.

„Einverstanden! Ich weiß Deine Freundschaftsbekundung zu schätzen und nehme sie gern an! Aber auch das bleibt unser Geheimnis! Sonst haben wir Probleme mit den anderen! In Ordnung?“

„Wow! Danke ! Und sicher doch! Ich werde es Niemanden verraten, das wir jetzt Freunde sind! Darauf kannst Dich verlassen!“ So wie es eben Freunde machten, gaben wir uns die Hand und bekräftigten damit unser Bündnis. Damit begann eine unzertrennbare Freundschaft.

Mit den darauffolgenden Jahren, auch mit der Aufnahme in den erlesenen Kreis der Assassinen, kam ich hinter das Geheimnis von „Schwarzauge“. Dabei half mir auch die Kunst der Meditation, die als Basis meiner Ausbildung diente. Mit der Zeit, konnte ich immer mehr eine feste Bindung mit dem Geist meines ungewöhnlichen Begleiter finden.

Bis ich gelernt hatte, seine Fähigkeiten zu Meinen zu machen. Das Sehen mit anderen Augen, hochfliegend alles sehend und betrachtend, war eine beeindruckende, atemberaubende und nie zu vergessende Erfahrung. Ich sah damit, wie klein doch die Welt war. Wenn man sie von oben betrachten konnte. Ja ich fühlte mich dabei vielleicht wie ein...Gott! Wenn sie so auf uns Menschen blickten. Ein herrliches Gefühl!

Seit dem ist "Schwarzauge", ein mehr als nur ständiger, treuer und hilfreicher Begleiter. Er ist mir sehr, an Herz gewachsen.

 

Auch Yasudo, wurde in den erlesenen Kreis der Assassinen aufgenommen und unseren Ausbildungszentrum in Sentinel zugeteilt. Aus einem untersetzten, schmächtigen Jungen, mit einem etwas schielenden Blick, wurde ein nie wieder zu erkennender Mann.

Stets um Perfektion bemüht, stählte er in seiner Ausbildung, aber auch weiter als Anführer seiner Einheit, Körper und Geist.

Wo ich bemüht war, mehr der Taktiker, der Stratege, der Besonnene zu sein, war Yasudo mehr der Draufgänger, der Ungestüme, der Unerbittliche. Aber auch der weit aus mehr Nachdenkende, wenn es darum ging, töten zu müssen. Ich glaube, ihm tat es innerlich mehr weh, als seine Feinde, die durch seine Waffen ums Leben kamen. Mir machte es in diesem Sinne, weniger Kopfzerbrechen. Ein Auftrag, eine Order oder ein Befehl musste ausgeführt werden. Die Frage nach berechtigt oder nicht, war nicht relevant. Das würde Schwäche zeigen und als Anführer einer Spezialeinheit untragbar machen.

Meine Untergebenen verließen sich auf mich. Da konnte ich mir keine Zurückhaltung leisten, davon hing das Leben meiner Männer ab.


Aber wie das Leben so spielte, kam alles anders. Unsere Einheit sollte in Skaven bei einer Schwertkampfausbilderin, Nachhilfeunterricht bekommen. Dort sah ich auch meinen Freund wieder. Wir hatten uns drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Und in dieser Zeitwar viel passiert.Aus dem Draufgänger, der Ungestüme, der Unerbittliche, wurde ein ruhiger, besonnener, aber auch harter Ausbilder und beste Unterstützung der Ausbilderin. Er hatte vor einem Jahr den Dienst in der Assassinenarmee quittiert. Nun sah ich ihn wieder und auch den Grund seines Wandels. Es war die Ausbilderin selbst, die diesen Mann verändert hatte. Und so lernte ich Samara, die Ausbilderin und Leiterin ihrer eigenen Schwertkampfschule, kennen und schätzen. Seine feste Freundschaft brachte mich näher an diese beeindruckende Frau heran. Die es geschafft hatte, Yasudo umzukrempeln und zu einem ganz anderen Menschen machte. Ihre Liebe war innig und unzerstörbar. Klar wurde ich gebeten, der Hochzeit bei zu wohnen und Trauzeuge meines besten Freundes zu sein. Das wollte ich mir nicht nehmen lassen, war eine besondere Ehre und ein noch wichtigerer Beweis unserer festen Freundschaft. Auch der Patenonkel für ihre beiden Kinder zu sein, war mir ein besonderes Anliegen.

Ich war etwas neidisch, ob seines Glückes, solch eine Frau gefunden zu haben.


Aber, ein Krieg, ein Überfall, mit ihnen der Tod, interessierte sich nicht für das glückliche Leben anderer. Sie rissen ihr die Familie mit unbarmherziger Manier auseinander. Ihr Herz, ihr Geist und ihre Seele schien daran zu zerbrechen. Auch ich verlor einen geliebten Menschen, einen besten Freund. Damit wurde das Band einer unzertrennlichen Freundschaft einfach so zerrissen. Unzertrennbar, ein Wort das wie eine Phrase klingt.

Der Tod macht es immer wieder deutlich, das Nichts unzertrennbar ist. Auch wenn das Band einer festen Freundschaft, einer unzerstörbaren Liebe im Herzen, im Geist, in der Seele und somit für die Ewigkeit bleibt. Aber es sind dann nur noch traurige, aber auch schöne Erinnerungen, einen wahrhaft besten Freund besessen zu haben. Mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.

Ich habe ihm etwas am Grab geschworen! Ich kann und darf jetzt nicht einfach diesen Eid brechen, nur weil ich Angst habe mich endlich der Wahrheit zu stellen. Damit wäre die immerwährende Suche nach meinen wahren Eltern, nach meiner wahren Herkunft gescheitert. Auch wenn ein Teil der Wahrheit mir nun bekannt war. Ja! Es tut verdammt weh, es so zu erfahren! Aber wie kann ich meiner Mutter oder meinen Vater oder sogar Samara für etwas verurteilen, ohne die wirklichen Gründe zu wissen. Warum Mutter gezwungen war mich wegzugeben, mich allein zu lassen in einer rauen Welt. Vielleicht müsste ich um Verzeihung bitten, weil ich nicht noch intensiver nach Ihnen gesucht hatte.


„Oh Mann! Wie schafft Samara das alles bloß. Sie hatte mehr Schicksalsschläge hinnehmen müssen als ich. Und hat sich befreit, ist bereit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Und ich sitze hier und mach mir Gedanken, über meine Herkunft, über meine Eltern, über Yasudo und auch über diese Frau.

Nein, mein kleiner Freund! Auch ich muss endlich Antworten auf meine Fragen bekommen! Auch ich muss mich endlich der Wahrheit stellen! Komm „Schwarzauge“! Ich werde das Angebot Samara`s nicht abschlagen, um mir dabei zu helfen! Lass uns reingehen! Scheiß egal, was geschehen sollte!“

Der Wanderfalke stiegt auf und flog in Richtung der riesigen Toren des Klosters. Kematu versuchte ihn einzuholen. Noch bevor der Krieger das Tor öffnete, hatte sich der Falke wieder auf seine rechte Schulter gesetzt.

Zusammen betraten sie nun auch das ehrwürdige und geheimnisvolle Hoch Hrothgar.

 

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